Corona-Mythen und verzerrte Tatsachen: Social Media-Plattformen als Treiber von Misinformationen

17.01.2022

Misstrauen in die österreichische Regierung und in die Forschung sowie der Glaube an Verschwörungstheorien rund um COVID-19 hängt in vielen Fällen mit einer intensiven Nutzung spezifischer Social Media-Plattformen zusammen.

von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)

"Wir kämpfen nicht nur gegen eine Epidemie, sondern gegen eine Infodemie." Mit diesen Worten warnte der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits im Februar 2020 vor der verheerenden Verbreitung von Fake News und Misinformationen bezüglich des Coronavirus. Besonders in Krisenzeiten florieren der Austausch von Informationen und hitzige Diskussionen zwischen besorgten Menschen auf Social Media-Plattformen. Dabei stellt sich die Frage, welche Einstellungen und Meinungen durch die Nutzung dieser kultiviert werden.

Die Forscher*innen Jakob-Moritz Eberl und Noëlle Lebernegg von der Universität Wien untersuchten in diesem Zusammenhang den Einfluss der Social Media-Nutzung und des Social Media-Verhaltens auf persönliche Überzeugungen und Wahrnehmungen hinsichtlich der COVID-19-Pandemie. Die Daten stammen aus einer mehrwelligen Panelstudie, erhoben vom Austrian Corona Panel Project (ACPP). Befragt wurden insgesamt 1.869 österreichische Bürger*innen ab 14 Jahren zunächst zu den Plattformen, die sie nutzen, um sich über die Corona-Pandemie zu informieren (Facebook, Instagram, Twitter, Youtube und WhatsApp), und danach konkret auch zu ihrer pandemiebezogenen Aktivität auf diesen (Beiträge lesen, "Gefällt-mir"-Angaben, Teilverhalten bzw. Beiträge selbst verfassen). Um die Überzeugungen und Wahrnehmungen der Studienteilnehmer*innen zu ermitteln, wurden sie gefragt, in welchem Ausmaß sie die Pandemie als Bedrohung für ihre Gesundheit und ihren wirtschaftlichen Standard wahrnehmen, wie viel Vertrauen sie österreichischen Institutionen entgegen bringen (Bundesregierung, ORF, Wissenschaft/Forschung), wie sehr und ob sie die politisch-angeordneten Maßnahmen unterstützen und, zuletzt, ob sie spezifischen COVID-19-Verschwörungsmythen Glauben schenken.

Den Ergebnissen zufolge informierten sich die Teilnehmer*innen mehrmals täglich zum aktuellen epidemiologischen Geschehen auf sozialen Plattformen. Etwa 30% taten dies über WhatsApp, 27% über Facebook, ungefähr 15 % über Instagram und YouTube und einige wenige über Twitter (5%). Die meisten Teilnehmer*innen lasen hauptsächlich Beiträge, viele reagierten auf diese anhand so genannter Click-Speech (Liken, Teilen); jedoch verfassten nur die wenigsten eigene Postings.

In vielen Bereichen zeigte sich, dass spezifische Überzeugungen mit einer erhöhten Nutzung bestimmter Plattformen einhergehen: Personen, die finanzielle Ängste aufgrund der Pandemie erleb(t)en, nutzten vermehrt Instagram, wohingegen gesundheitliche Sorgen mit einer erhöhten Twitter- und WhatsApp-Nutzung zusammenhingen. Diejenigen, die wenig Vertrauen in die Regierung haben, bewegten sich häufigst auf den Plattformen Facebook, Twitter und YouTube. Die Twitternutzung korrelierte hingegen mit dem Vertrauen in den ORF. YouTube erwies sich als einziges Netzwerk, welches negativ mit dem Vertrauen in Wissenschaft und Forschung assoziiert ist. Der Glaube an gezielte Verschwörungsstatements hing mit der Nutzung aller untersuchten Social Media-Plattformen zusammen, Twitter ausgenommen. Besonders stark ist der Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und der Informationssuche auf WhatsApp und YouTube ausgeprägt.

Interessante Ergebnisse zeigten sich ebenfalls bei den eigentlichen Social Media-Aktivitäten im Zusammenhang mit den Überzeugungen und Wahrnehmungen der Studienteilnehmer*innen. Personen, die der Wissenschaft vertrauen oder die Maßnahmen unterstützen, lasen hauptsächlich Beiträge und waren daher eher passive Nutzer*innen der Plattformen. Hingegen waren Personen, die der Regierung misstrauen, die Maßnahmen ablehnen oder Verschwörungsmythen Glauben schenken, deutlich aktiver auf Social Media, indem sie Postings lasen, diese likten und teilten sowie eigene Beiträge verfassten.

Die Forscher*innen besorgt das diskrepante Social Media-Verhalten, welches stark von den Überzeugungen der Nutzer*innen abhängig zu seien scheint: "Die Pandemie durch die Social Media-Brille zu verfolgen, bedeutet mitunter – je nach Plattform – ganz unterschiedliche Realitäten vorgesetzt zu bekommen. Die aktivsten Nutzer*innen, die am meisten interagieren und selbst schreiben, glauben häufiger an Misinformationen über das Coronavirus und sind damit Multiplikatoren einer potentiellen Infodemie. Gleichzeitig riskiert die schweigende Mehrheit, die Stimme der Informierten, die auf wissenschaftlichen Sachverstand vertrauen, auf diesen Plattformen ungehört zu bleiben", kommentiert Studienautor Jakob-Moritz Eberl.


Publikationsdetails

Eberl, J.-M., & Lebernegg, N. (2021). The pandemic through the social media lens: Correlates of COVID-19-related social media use in Austria. MedienJournal, 45(3), 5-15. doi:10.24989/medienjournal.v45i3.2037

1.869 österreichische Bürger*innen wurden zu ihrer Social Media-Nutzung und -Verhalten im Laufe der COVID-19 Pandemie befragt. Die Daten wurden im Rahmen von mehrwelligen Panelumfragen im Mai und November 2020 vom Austrian Corona Panel Project (ACPP) erhoben und anschließend veröffentlicht. Ziel der statistischen Datenauswertung war es, die Beziehung zwischen Pandemie-Einstellungen und -Überzeugungen und dem Social Media-Verhalten (Informationen lesen, liken, teilen sowie Beiträge verfassen) der Nutzer*innen zu untersuchen. (Image © Pexels.com)

Jakob-Moritz Eberl ist Postdoc am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien sowie derzeit Vertretungsprofessor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München. Sein Hauptforschungsinteresse ist der Einfluss von Mediendiskursen sowie Medienbias auf die öffentliche Meinung und politisches Verhalten. (Image © Jakob-Moritz Eberl)

Noelle Lebernegg ist Doktorandin am Computational Communication Science Lab der Universität Wien. Unter der Betreuung von Professor Hajo Boomgaarden untersucht sie in ihrer Dissertation die möglichen Auswirkungen gezielter, automatisierter politischer Kommunikationsstrategien auf politische Diskussionen und die öffentliche Meinung. (Image © Noelle Lebernegg)