Forschungsprojekte am Institut: Zeitallokation, Medienwahl und Displacement-Effekte

05.10.2023

Seit 2021 wird im von Claudia Wilhelm geleiteten Forschungsprojekt "Zeitallokation, Medienwahl und Displacement-Effekte" untersucht, wie Jugendliche ihre Zeit zwischen Mediennutzung und schulischer Aktivität einteilen.

von Annika Arndt (✉ annika.arndt@univie.ac.at)

Im Gespräch mit Annika Arndt gibt Claudia Wilhelm, Professorin für Medien und Intersektionalität am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, einen Einblick in ihre Forschung zu diesem Thema sowie den bisherigen Verlauf des Projekts. Neben Claudia Wilhelm sind auch Anne Reinhardt als Postdoc und Sophie Mayen als Praedoc im Projekt involviert.


Medien, Schule und Zeitverwendung in der Generation Z: Zeit als knappe Ressource

Zeit ist in unserer Gesellschaft eine kritische Ressource, wie Claudia Wilhelm betont. Wie teilen Jugendliche ihre Zeit ein und wie beeinflusst die Mediennutzung die Zeitverwendung für schulische Aktivitäten? Das Projekt "Zeitallokation, Medienwahl und Displacement-Effekte" wird seit September 2021 mit Unterstützung von Anne Reinhardt und Sophie Mayen durchgeführt und beschäftigt sich mit der zunehmenden medialen Durchdringung aller Bereiche des Alltags. Das Projektteam konnte kürzlich die Datenerhebung abschließen – und kann somit nun erste Einblicke in ein äußerst spannendes Forschungsfeld geben.

Ziel und Schwerpunkt der Forschung – Segmentierung der Zeit

Das umfangreiche Projekt erforscht, wie Jugendliche ihre Zeitverwendung für Mediennutzung und schulische Aktivitäten segmentieren, denn die Zeit für Mediennutzung und für schulische Aktivitäten unterliegt einer Konkurrenz, so die Forscherinnen. Untersucht wird u.a., ob eine erhöhte Nutzung von Medien mit einer Verschlechterung der schulischen Leistung in Verbindung gebracht werden kann und welche Faktoren, wie beispielsweise das Alter, das Bildungslevel und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Mediengeneration, diesen Zusammenhang beeinflussen.

Doch nicht nur die Zeitverwendung, sondern auch medienpsychologische Effekte sollen nachvollzogen werden, weshalb auch das allgemeine Wohlbefinden der Befragten berücksichtigt wird. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung, wie sich die Mediennutzung und die Zeitverwendung in verschiedenen Generationen von Mediennutzer*innen verändert haben.

Das Forschungsprojekt

Das Projekt baut auf Erkenntnissen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten und unter der Mitarbeit von Projektleiterin Claudia Wilhelm durchgeführten Projekts zur medienübergreifenden Mediennutzung auf. Im Rahmen dieses Projekts entstand ein Modell der Medienwahl, welches auch im aktuellen Projekt Anwendung findet. Der Fokus liegt auf der heutigen Generation von Jugendlichen und ermöglicht einen Vergleich mit bereits vorhandenen Daten früherer Generationen von Heranwachsenden. In diesem Kontext wird neben eigens erhobenen Daten weiterhin mit sekundären Daten des Statistischen Bundesamts gearbeitet, erklärt Anne Reinhardt, die als Postdoc-Mitarbeiterin im Projekt fungiert. Die Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamts liefert in einem 10-jährigen Abstand Daten für den Zeitraum von 1991 bis 2013. So konnten Informationen über die Mediennutzung früherer Generationen von Jugendlichen gesammelt sowie Erkenntnisse aus neu erhobenen Daten gewonnen werden, was sowohl eine Längs-, als auch eine Querschnittsperspektive ermöglicht.

Im nunmehr laufenden Projekt Zeitallokation spielt das angesprochene Mediennutzungsmodell eine bedeutende Rolle. Das Modell wird herangezogen, um nachvollziehen zu können, wie die Zeit von Jugendlichen verteilt wird und sich die Zeitaufteilung generationsübergreifend unterscheidet. Besonders die Generation Z nutzt Medien in einem anderen Maße als Generationen zuvor, sowohl zeitlich als auch hinsichtlich verschiedener Medienkanäle. Relevant für den Forschungsprozess ist daher aufzuschlüsseln, wie Jugendliche ihre Zeit einteilen. Dabei wurde das Augenmerk besonders auf die Zeiteinteilung in mediale Nutzungszeit und schulische Aktivitäten, wie Lernzeit oder Hausaufgaben, gelegt. So soll sichtbar gemacht werden, ob und wie unterschiedliche Medienaktivitäten wie Computerspielen, Audio- oder Videostreaming, Nutzung sozialer Medien, oder das Surfen im Internet die Zeit der Jugendlichen konsumiert und inwiefern dies einen Einfluss auf die schulischen Leistungen hat. Dafür werden sowohl subjektives Wohlbefinden, Zeitverwendung, Soziodemographie als auch schulische Noten berücksichtigt.

Methoden und Innovation – Mobile Experience-Sampling (MES)

Die heutige Generation der 12-18-Jährigen nutzt andere Medien als vorherige Generationen. Während die Daten im Vorprojekt auf Tagebucheinträgen zur Dokumentation der Mediennutzung der befragten Personen basieren, ist das methodische Vorgehen in der aktuellen Studie innovativer und näher an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen orientiert, wie Claudia Wilhelm betont. Die Rekrutierung für die Primärdatenerhebung erfolgte über Schulen und ist damit zielgruppenaffiner. Mit Hilfe der Methode des Mobile Experience-Samplings wurden 343 Befragte zu jeweils neun verschiedenen Zeitpunkten zu ihrer Zeitnutzung befragt. Dabei wurden die Daten an zwei Werktagen und einem Wochenendtag erhoben, indem die Teilnehmer*innen jeweils eine SMS mit Link zu einer Umfrage erhielten. Dies sei akkurater als ein einmaliger Tagebucheintrag am Ende eines Tages, da die Informationen "in der Situation" ohne Verzögerungen angegeben werden und es so weniger Verzerrungen auf Basis fehlerhafter Erinnerungsleistungen kommt.

Das Projekt nach zwei Jahren: Die nächsten Schritte

Die Primärdatenerhebung ist abgeschlossen und aktuell werden die Daten der Teilnehmer*innen ausgewertet. Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Mediennutzung und Wohlbefinden wird gerade zur Veröffentlichung vorbereitet. Im nächsten Schritt wird der Einfluss der Mediennutzung auf die schulischen Aktivitäten und Leistungen analysiert.

Die Forscherinnen sind sich einig, dass das Mobile Experience Sampling im Projektkontext eine aufwendige, aber sinnvolle und gewinnbringende Methode ist. Für die zukünftige Forschung wären Studien interessant, die Selbstauskunftsdaten wie Tagebucheinträge oder das Mobile Experience-Sampling mit nicht-reaktiven Verfahren, wie die Auswertung von digitalen Spuren, miteinander kombinieren.


Das Projektteam

Claudia Wilhelm ist seit 2020 Tenure Track-Professorin für Medien & Intersektionalität am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Neben der Leitung des Projekts Zeitallokation, Medienwahl und Displacement-Effekte forscht sie zu digitaler kommunikation, Mediennutzung und -wirkung sowie Kindern und Jugendlichen.

Anne Reinhardt ist seit 2021 Universitätsassistentin Postdoc und Projektmitarbeiterin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Health Message Framing, Mediennutzungsforschung und Gesundheitskommunikation.

Sophie Mayen ist ebenfalls seit 2021 Universitätsassistentin Praedoc und Projektmitarbeiterin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschung konzentriert sich auf Mediennutzung im Alltag, bei Kindern und Jugendlichen, Gesundheitskommunikation sowie Framing-Effekte.

Zeitallokation, Medienwahl und Displacement-Effekte

Fördergeber: FWF – Der Wissenschaftsfonds

Laufzeit: 2021-2024

PI: Claudia Wilhelm

Mitarbeit: Anne ReinhardtSophie Mayen

Weiterführende Publikation

Reinhardt, A., Wilhelm, C., & Mayen, S. (2023). Time for digital media but no time for school? An investigation of displacement effects among adolescents of gen X, Y, and Z. Psychology of Popular Media. Advance online publication. doi:10.1037/ppm0000479