Forschungsprojekt
Die Verbreitung von "shocking news" in der Internet-Gesellschaft

Leitung: Roland Burkart / Mitarbeit: Claus Braunecker

Mit Unterstützung der Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien (2014)


Shocking News

Die meisten Menschen wissen von den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001, die unter der Chiffre "9/11" längst in die Weltgeschichte eingegangen sind. Viele, die damals die Ereignisse via Fernsehen verfolgt haben, können sich sogar noch erinnern, wo sie waren, als sie davon zum ersten Mal gehört hatten. Als am 11. Februar 2013 Papst Benedikt XVI. verkündet hatte, dass er sein Amt als Oberhaupt der katholischen Kirche zurücklegen will, setzte er einen Schritt, der ebenfalls als welthistorisches Ereignis zu klassifizieren ist. Ein freiwilliger Papst-Rücktritt war über Jahrhunderte hindurch nicht vorgesehen.

Nachrichten wie diese zählen zur Gattung der sog. "shocking" oder auch "major news". Das sind Extremereignisse, die von der Mehrzahl der Medien weltweit und praktisch gleichzeitig als so bedeutend eingestuft werden, dass sie durch Platzierung und Aufmachung eine herausragende öffentliche Präsenz erfahren.

Aus der Diffusionsforschung ist seit langem bekannt, dass bei der Verbreitung derartig außergewöhnlicher Nachrichten aber nicht nur die Massen-, sondern auch die interpersonale Kommunikation eine bedeutende Rolle spielt. Viele Menschen werden selbst aktiv und informieren Familienmitglieder, Freunde und Bekannte über das außergewöhnliche Ereignis. Seit einigen Jahren kommen die neuen, internetbasierten sozialen Medien dazu – sowohl was die Informationsverbreitung und -suche betrifft.


Daten aus sieben Umfragen

Im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte (2001-2015) wurden vom Wiener Publizistik-Institut aus sieben Datensätze generiert, die sich mit der Diffusion herausragender Nachrichten beschäftigen:

  • 2001
    America under fire:
    Die Terroranschläge "09/11" am 11.09.2001 in  New York. Sample: 1.000 Telefoninterviews, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 14 Jahren; Integral Markt- und Meinungsforschung, Wien. Feldzeit 19.09. bis 02.10.2001.  
  • 2005
    London under fire: „Rucksackbomber“, islamistische Selbstmordattentate am 07.07.2005 im Londoner U-Bahn-Netz. Sample: 505 Telefoninterviews, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 14 Jahren; Integral Markt- und Meinungsforschung, Wien. Feldzeit 18.07. bis 22.07.2005.  
  • 2010
    Wetten, dass-Unfall: Samuel Koch verletzt sich am 04.12.2010 bei einem versuchten Sprung über ein Auto in der Live-Sendung Sample: 1.215 Onlineinterviews, Wiener Publizistik-Studierende plus Schneeballprinzip; unipark-Software. Feldzeit 05.12. bis 13.12.2010.  
  • 2012
    Newtown-Massaker: Ein 20-jähriger erschießt am 14.12.2012 in einer Schule der amerikanischen Kleinstadt Newton (Connecticut) insgesamt 27 Menschen. Sample: 995 Onlineinterviews, Wiener Publizistik-Studierende plus Schneeballprinzip; unipark-Software. Feldzeit 14.12. bis 28.12.2012.  
  • 2013
    Rücktritt eines Papstes: Papst Benedikt gibt am 11.02.2013 in Rom unerwartet seinen Rücktritt bekannt. Sample: 1.107 Onlineinterviews, Wiener Publizistik-Studierende plus Schneeballprinzip; unipark-Software. Feldzeit 11.02. bis 20.02.2013.  
  • 2014
    Conchita Wurst: Der österreichische Sänger und Travestiekünstler Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst gewinnt am 10.05.2014 in Kopenhagen den Song-Contest für Österreich. Sample: 1.622 Onlineinterviews, Wiener Publizistik-Studierende plus Schneeballprinzip; unipark-Software. Feldzeit 12.05. bis 05.06.2014.  
  • 2014
    Tod von Udo Jürgens: Der international bekannte österreichische Sänger und Komponist stirbt am 21.12.2014 bei einem Spaziergang in der Schweiz völlig unerwartet an Herzversagen. Sample: 703 Onlineinterviews, Wiener Publizistik-Studierende plus Schneeballprinzip; unipark-Software. Feldzeit 22.12.2014 bis 13.01.2015.    


Es handelt sich also um eine beachtenswerte Datenbasis, die noch nicht einer systematischen Auswertung unterzogen worden ist. Zwar wurden vereinzelte Detailergebnisse zum Zweck der internen Diskussion im Rahmen von Lehrveranstaltungen erwähnt, erste Ergebnisse zum Papst-Rücktritt wurden sogar bereits publiziert (Burkart/Noll 2013a, 2013b).  

Im Rahmen des laufenden Projektes soll dieser bislang noch weitgehend unbearbeitete Datenschatz "gehoben" werden.


Erkenntnisziel und Fragestellungen

Es geht nicht bloß um die systematische Auswertung der Daten zu jeder einzelnen Umfrage, sondern v.a. um den Vergleich der Ergebnisse untereinander und damit auch um eine Auswertung im Zeitverlauf. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat sich das Erkenntnisziel mit Blick auf die schleichende Verbreitung des Internets differenziert. Auf Basis kontinuierlicher Adaptierungen des Fragebogens können die Detailfragen daher auch mit Blick auf die digitale Onlinegesellschaft der "Digital Natives" des 21. Jahrhunderts gestellt werden.

Die zentrale, übergreifende Forschungsfrage lautet:
Wie verbreiten sich außergewöhnliche und völlig unerwartete Nachrichten in unserer digitalen Onlinegesellschaft des 21. Jahrhunderts?


Fragestellungen im Detail

  • Über welche Kommunikationskanäle erfährt man die Neuigkeit?
  • Welchen Stellenwert nehmen die „klassischen“ Medien Zeitung, Radio und Fernsehen dabei ein?
  • Wie häufig verbreitet sich die Nachricht im persönlichen Gespräch?
  • Inwieweit ersetzen/ergänzen Social Media-Dienste wie Facebook, Twitter und andere Micro-Blogs bereits die direkte, persönliche Informationsweitergabe?
  • An wen gibt man die Neuigkeit weiter?
  • Sucht man in den nächsten Tagen – und wenn ja: wo(?) – nach weiteren Informationen?
  • Welche Rolle spielt dabei die gute alte Zeitung – offline und auf Papier?
  • Inwieweit fungieren Online- und Social Media-Angebote als Alternative zu den "klassischen" Massenmedien?
  • Welche Entwicklungen im Informationsverhalten treten bei einem temporären Vergleich zutage?
  • Lassen sich Informationsverhaltenstendenzen typisieren?


Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen.


Vorliegende Publikationen