von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)
Politische Schmutzkübelkampagnen (Dirty Campaigning) kannte man früher nur aus den USA, doch auch in Europa machen Parteien zunehmend Gebrauch von Negativkampagnen, mit dem Ziel ihre politischen Kontrahent*innen öffentlich zu diffamieren. Kommunikationsforscher der Universität Wien untersuchten in einer Studie das Demokratieempfinden deutscher Wähler*innen in Zusammenhang mit den Schmutzkübelkampagnen während der deutschen Bundestagswahl 2021. 634 wahlberechtige deutsche Bürger*innen nahmen an der digitalen Umfrage teil, wobei sie zu zwei Zeitpunkten im Sommer 2021 vor dem Wahltag (26.09.21) bezüglich ihrer Präferenz deutscher Parteien, Schmutzkübelkampagnen, Demokratieempfinden und Vertrauen in Politiker*innen befragt wurden.
Im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl 2021 sorgten Negativkampagnen für Aufsehen: eine Plakat-Kampagne gegen Bündnis 90/Die Grünen bezichtigte die Partei des "Klimasozialismus" und "Öko-Terrors", während ein Wahlkampfspot der Sozialdemokraten den CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet in ein schlechtes Licht stellte. "Unter Dirty Campaigning verstehen wir ein Verhalten zwischen politischen Eliten, das gegen soziale Normen und demokratische Werte verstößt", erklärt Studienautor Franz Reiter von der Universität Wien, "darunter fallen sowohl unhöfliche Kommunikation wie Beleidigungen als auch unlautere Wahlkampf-Techniken wie die illegale Wahlkampffinanzierung oder die Manipulation von Umfragen."
Unlauterer Wahlkampf und trügerische Wahlkampftechniken sind zunehmend relevante Phänomene in der Politik und sollten deshalb in ihrer Wirkung auf die Demokratie und auf die Sichtweise von Bürger*innen untersucht werden. In ihrer Studie erforschten Franz Reiter und Jörg Matthes die Wahrnehmungen von Wahlberechtigten in Deutschland gegenüber den Kampagnen der Parteien während der deutschen Bundestagswahl 2021. Dabei wollten sie in Erfahrung bringen, welche Auswirkungen Dirty Campaigning auf folgende demokratische Aspekte hat: Misstrauen gegenüber Politiker*innen, Vertrauen in die Demokratie, Haltung gegenüber der gesetzlichen Regulierung von Dirty Campaigning sowie die wahrgenommenen schädlichen Auswirkungen von Dirty Campaigning auf die Qualität der Demokratie. In einer zweiwelligen Panel-Umfrage wurden die Antworten von 634 wahlberechtigen deutschen Bürger*innen zur Wahl mittels Online-Fragebogen erfasst. Die Befragten wurden u.a. zu ihrer Parteipräferenz befragt und welche Einstellung sie zu Dirty Campaigning haben, in Abhängigkeit davon, ob es von ihrer am wenigsten bevorzugten oder am bevorzugtesten Partei ausgeübt wurde.
Welche Folgen erwarten Bürger*innen durch Dirty Campaigning?
Auch wenn sich die von einer Person am wenigsten bevorzugte Partei Dirty Campaigning zu Nutzen macht, führt das nicht automatisch dazu, dass Bürger*innen Politiker*innen misstrauen oder das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Allerdings erwarten sie, dass solche Kampagnenformen durch besagte Parteien schädliche Folgen für die Demokratie haben könnten. Andersherum gesehen: Nehmen die Befragten aber schmutzige Wahlkampftechniken auf Seiten ihrer bevorzugten Partei wahr, empfinden sie diese nicht als schädlich für die Demokratie. Wird Dirty Campaigning zudem als demokratieschädlich angesehen, so kann dies das Misstrauen in Politiker*innen fördern und den Wunsch nach strenger Regulierung von Dirty Campaigning verstärken. Auch diejenigen, die Politiker*innen grundsätzlich misstrauen, nehmen Dirty Campaigning als schädlich wahr und befürworten Regulierungsmaßnahmen.
Dirty Campaigning ist für viele annehmbar – solange es von der "richtigen" Partei stammt
Die Befragten haben zu beiden Umfragezeitpunkten wahrgenommen, dass die unbeliebteste Partei Dirty Campaigning häufiger einsetzen würde als die jeweils beliebteste Partei. "Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Dirty Campaigning der am wenigsten beliebten Partei die Wahrnehmung erhöhen kann, dass Dirty Campaigning schädlich für die Demokratie ist, während Dirty Campaigning der beliebtesten Partei den gegenteiligen Effekt aufzeigt. So kann sich die Wahrnehmung verringern, dass Dirty Campaigning schädlich für die Demokratie ist", erläutert Reiter. "Außerdem zeigen unsere Ergebnisse, dass Dirty Campaigning der beliebtesten Partei die Einstellung nach stärkerer Regulierung dieser Wahlkampfmethode durch die Gesetzgebung verringern kann", führt er fort.
Doppelmoral auf Seiten der Wähler*innen kommt bevorzugten Parteien gelegen
"Könnte man anhand dieser Ergebnisse schlussfolgern, dass Dirty Campaigning positive Auswirkungen auf die Demokratiequalität haben kann? Eher nicht, weil Bürger*innen eine Doppelmoral entwickeln könn(t)en, indem Dirty Campaigning der beliebtesten Partei befürwortet wird, während Dirty Campaigning der am wenigsten beliebten Partei abgelehnt wird. Politische Parteien könnten dahingehend Dirty Campaigning verwenden, um gezielt Wähler*innen zu überzeugen. Das ist problematisch, weil Dirty Campaigning im Verdacht steht, zu einer vergifteten politischen Atmosphäre beizutragen", resümiert der Kommunikationsforscher. Um diese Befunde zu untermauern, sind jedoch weitere Studien notwendig.