von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)
Im März 2020 wurden von der Bundesregierung Verordnungen wie die Ausgangsbeschränkungen, "Social Distancing" Maßnahmen und Absagen öffentlicher Veranstaltungen zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie verabschiedet. Es wurde beabsichtigt, die Infektionszahlen zu reduzieren und die Krankenhäuser vor einer Überlastung zu bewahren. Während diese Verordnungen teilweise noch heute zum Alltag gehören, stellt sich zunehmend die Frage, inwiefern diese Maßnahmen auch unbeabsichtigte Effekte ausgelöst haben: Wie steht es eigentlich um die psychische Gesundheit der Menschen?
Die Kommunikationswissenschaftlerinnen und Kommunikationswissenschaftler Florian Arendt, Antonia Markiewitz, Manina Mestas und Sebastian Scherr der Universitäten in Wien, München und Leuven haben im Rahmen ihrer Studie die Folgen der ersten Corona-Maßnahmen im Frühjahr 2020 auf die psychische Gesundheit deutscher und österreichischer Bürgerinnen und Bürgern anhand der Nutzung von Krisenhotlines (Telefonseelsorge) untersucht. Dabei analysierten die Forscherinnen und Forscher die Anzahl der täglichen Anrufe bei Krisenhotlines und stellten diese Zahlen jenen aus dem Frühjahr 2019 gegenüber. Steigende Anrufzahlen wurden als Indikator für die mentale Gesundheit verwendet. Gibt es etwa Stressoren wie harte Lockdown-Maßnahmen, so wurde ein Anstieg als mentale Belastung interpretiert. Zu erwähnen ist jedoch, dass der Anstieg in Anrufzahlen bloß ein indirekter Indikator ist, welcher nicht direkt zentrale Konzepte wie etwa Depression, Hoffnungslosigkeit oder Suizidalität misst. Dennoch können Anrufzahlen, wie die Literatur zeigt, als basaler Indikator für Stressoren auf einer gesellschaftlichen Ebene interpretiert werden.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Zahl der Anrufe im Frühjahr 2020 während des ersten Lockdowns zugenommen hat. Die Kurve der Anrufzahlen ist etwa zum Zeitpunkt der Einführung von schwerwiegenden Restriktionen (Ausgangsbeschränkungen; Reisebeschränkungen; Schließung von Geschäften, Gastronomie, Schulen und Universitäten; Absagen diverser Veranstaltungen, etc.) substantiell gestiegen. Die Daten aus Österreich zeigen zusätzlich, dass der Zeitpunkt der Lockerung der Regierungsmaßnahmen mit der Abflachung dieser Krisenhotline-Kurve im April 2020 korrespondierte. Lockerungen führten sofort, also ohne lange Verzögerung, tendenziell wieder zur Rückkehr der Anrufzahlen auf das Baseline-Niveau.
Schwerwiegende Maßnahmen haben, wie internationale Studien zeigen, einen beabsichtigten positiven Effekt auf die Infektionszahlen und tragen somit zu einem Schutz vor einer Überlastung des Gesundheitssystems bei. Studienleiter Florian Arendt hebt jedoch, basierend auf der bisher bereits publizierten Evidenz und den Befunden der vorliegenden Studie hervor, dass schwerwiegende Regierungsmaßnahmen die psychische Gesundheit einer Gesellschaft herausfordern. Daher "sollte immer die Abwägung zwischen Kosten und Nutzen spezifischer schwerwiegender Maßnahmen im Fokus politischer Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger stehen". Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass "die negativen Effekte gedämpft werden können, wenn die Dauer der strengen Maßnahmen auf ein mögliches Minimum reduziert wird", so Arendts Ko-Autorin Manina Mestas.
Publikationsdetails
Arendt, F., Markiewitz, A., Mestas, M., & Scherr, S. (2020). COVID-19 pandemic, government responses, and public mental health: Investigating consequences through crisis hotline calls in two countries. Social Science & Medicine, 265, 113532. doi:10.1016/j.socscimed.2020.113532