Sinkendes Medienvertrauen: Welche Erwartungen haben Nachrichtenkonsumentinnen und Nachrichtenkonsumenten an den Journalismus?

07.04.2021

Die gemeinsame Studie der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersuchte die Erwartungen österreichischer Bürgerinnen und Bürger an den Journalismus.

von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)

In den letzten Jahren lässt sich das Phänomen des sinkenden Vertrauens in den Journalismus beobachten. Auch in Österreich ist das der Fall. Laut dem jüngsten Digital News Report von 2020 verneint rund ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher die Aussage, dass Sie "dem Großteil der Nachrichtenquellen in den meisten Fällen vertrauen". Die Kommunikationswissenschaftler Andreas Riedl und Jakob-Moritz Eberl argumentieren, dass der Grad des Medienvertrauens unmittelbar mit der politischen Einstellung der Bürgerinnen und Bürger und deren Vertrauen in die Politik zusammenhängen könnte. Die beiden Forscher untersuchten die Erwartungen an den Journalismus sowie die politischen Überzeugungen österreichischer Bürgerinnen und Bürger und verglichen diese mit den Rollenorientierungen österreichischer Journalistinnen und Journalisten, um Publikumserwartungen besser nachzuvollziehen.

Die Onlineumfrage erfolgte zwischen Februar und März 2019 im Rahmen der Austrian National Election Study, in deren Zuge 2775 Österreicherinnen und Österreicher befragt wurden. Für die Untersuchung der journalistischen Perspektive verwendeten die Forscher Daten der letzten Worlds of Journalism Study von 818 befragten österreichischen Journalistinnen und Journalisten.

Die Vergleichsstudie ergab, dass sich Publikum und Journalistinnen und Journalisten bei drei wesentlichen Funktionen besonders einig sind: Journalismus soll die Rolle eines beobachtenden Observers, eines auf Information fokussierten Informers und zu einem gewissen Grad eines unterhaltenden Entertainers einnehmen. Darüber hinaus scheiden sich die Meinungen. Während Journalistinnen und Journalisten stärker nach einer publizistischen Einordnungsleistung (Analyst) und ökonomischer Stabilität für ihre Branche durch Adressierung eines breiten Publikums (Marketer) streben, präferiert das Publikum jene journalistischen Funktionen, die zur politischen Partizipation animieren (Mobilizer) und die Überwachung und Hinterfragung der politischen Führung gewährleisten (Watchdog) sollen. "Wenn der Journalismus gerade jene Leistungen vernachlässigt, die aber den Erwartungen des Publikums entsprechen", könnte dies zu "potenziellen Konflikten" führen, mahnen die Autoren.

Allerdings zeigen sich auch Widersprüche in den Publikumserwartungen: manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer fordern die Funktion des Watchdogs, der die politische Führungselite streng beobachtet, andere die des Collaborators, der die gegenwärtige Regierungspolitik unterstützt. Derartige Ergebnisse demonstrieren, wie unterschiedlich die Ansichten des Publikums ausfallen können.

Was diese Studie besonders macht, ist der Bezug zu politischen Faktoren, um Publikumserwartungen zu beleuchten: Die Autoren erläutern, dass politische Ansichten wie die Zufriedenheit mit der aktuellen Regierungsspitze die Erwartungen an den Journalismus in vielen Fällen besser erklären als die Mediennutzung und das Vertrauen in die Medien. So ist zum Beispiel die Rolle des Journalismus als Observer mit politischem Interesse und Vertrauen verbunden. Demzufolge, muss das Publikum nicht nur als Mediennutzerinnen und Mediennutzer, sondern auch als politische Bürgerinnen und Bürger angesehen werden, um Publikumserwartungen vollständig verstehen zu können.

Sie schlussfolgern: "Was Bürgerinnen und Bürger von Journalismus erwarten, hängt nicht nur damit zusammen, welche Medien sie nutzen, sondern auch mit ihren individuellen politischen Überzeugungen und damit, wie stark sie Medien vertrauen – und diese Erwartungen weichen teilweise von dem ab, was im professionellen Journalismus als relevant empfunden wird. Diese Publikumserwartungen sollten ernst genommen werden, damit sich manche Bürgerinnen und Bürger nicht weiter vom medialen und gesellschaftlichen Diskurs abwenden."


Publikationsdetails

Riedl, A., & Eberl, J.-M. (2020). Audience expectations of journalism: What's politics got to do with it? Journalism. Advance online publication. doi:10.1177/1464884920976422

In einer repräsentativen Onlinebefragung der österreichischen Bevölkerung wurden Publikumserwartungen (n = 2775) an den Journalismus erhoben und mit den Rollenorientierungen professioneller Journalistinnen und Journalisten (n = 818) in Österreich verglichen. Darüber hinaus wurden die politischen Einstellungen des Publikums erfasst, um Zusammenhänge mit den Erwartungen an den Journalismus zu erforschen.

(Image © Kaboompics.com)

Andreas Riedl ist Junior Scientist am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Klagenfurt. (Image © Andreas Riedl / ÖAW)

Jakob-Moritz Eberl ist Postdoc am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Teil des Computational Communication Science Lab. Sein Hauptforschungsinteresse ist der Einfluss von Mediendiskursen sowie Medienbias auf die öffentliche Meinung und politisches Verhalten.