von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)
Der Wahlerfolg der Grünen in Deutschland im Zuge der Europawahl 2019 wird in enger Verbindung mit dem deutschen YouTuber Rezo gebracht. Der Influencer hatte im Vorfeld der Wahlen ein Video namens "Die Zerstörung der CDU" auf YouTube veröffentlicht, in welchem er die Klimapolitik der konservativen CDU kritisierte und seine Zuschauer*innen dazu aufrief, wählen zu gehen. Sein Auftritt sorgte nicht nur für große gesellschaftliche Furore, sondern äußerte sich auch in den Wahlergebnissen. Die Grünen erhielten mehr als ein Drittel der Stimmen von deutschen Erstwähler*innen, während die CDU große Verluste einstecken musste. Dieses Phänomen wird heute als "Rezo-Effekt" bezeichnet und beleuchtet beispielhaft, welche Einfluss- und Mobilisierungsmöglichkeiten Influencer*innen gegenüber ihren Follower*innen besitzen.
Eine großangelegte Studie der Universität Wien untersuchte in diesem Zusammenhang den Einfluss politischer Influencer*innen-Kommunikation auf die Einstellungen von jungen Erwachsenen gegenüber der Politik. Die Forschung wurde innerhalb von drei Einzelstudien in Deutschland im Zeitraum zwischen 2019 und 2020 umgesetzt. Studie 1 erfolgte als zweiwellige Panelbefragung mit Teilnehmer*innen zwischen 16 und 19 Jahren, die zu ihrem Influencer*innen-Konsum auf sozialen Medien, die vereinfachte Darstellung von Politik durch Influencer*innen und hinsichtlich ihres Zynismus bzw. ihrem Interesse gegenüber Politik in Form eines digitalen Fragebogens befragt wurden. Studie 2 umfasste eine Querschnittsuntersuchung mit 632 Teilnehmer*innen zwischen 16 und 29 Jahren, die zur Häufigkeit ihres Influencer*innen-Konsums auf sozialen Medien befragt wurden. Hier wurde die Frage gestellt, ob jene abonnierten Influencer*innen ihren Kanal mit Themen wie Politik, Umweltschutz, Gleichberechtigung, Migration, Rassismus und Vertrauen in Politik und Politiker*innen bespielten. Zusätzlich wurden die Teilnehmer*innen gefragt, ob sie eine sogenannte "parasoziale Interaktion" zu den Influencer*innen empfinden, welche als illusionierte persönliche Interaktion mit einer Medienfigur definiert wird. Studie 3 wurde im Rahmen einer zweiwelligen Panelbefragung umgesetzt, bei der 496 Teilnehmer*innen zwischen 16 und 25 Jahren partizipierten und Fragen aus Studie 1 und Studie 2 beantworteten.
Im ersten Schritt wurde untersucht, ob die Befragten empfanden, dass Influencer*innen politische Sachverhalte in einfacher Sprache präsentieren würden. "Die Ergebnisse zeigen über die drei Studien, dass junge Menschen, die regelmäßig Inhalte von Influencer*innen auf sozialen Medien sehen, den Eindruck haben, dass diese politische Themen in einfachen Worten erklären können", erläutert Studienautorin Desirée Schmuck. Diese lockere Vorstellung von politischen Themen macht die Inhalte vermutlich zugänglicher für das junge Publikum. "Diese wahrgenommene Vereinfachung von Politik kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die politischen Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben", führt sie weiter aus. Dabei sei die Kommunikation rund um spezifische Themenbereiche wie Rassismus und Umweltschutz besonders ausschlaggebend für die Generierung von politischem Interesse unter den jungen Rezipient*innen (man bedenke, dass zum Zeitpunkt der Erhebung jene Themen der Black Lives Matter- und Fridays for Future-Demonstrationen die Medienagenda und Social Media Feeds dominierten).
Darüber hinaus konnten die Forschenden feststellen, dass bei Vorliegen einer parasozialen Interaktion mit den Influencer*innen "die Vereinfachung politischer Themen zu einem höheren politischen Interesse führen kann". Das bedeutet, dass die Wahrnehmung einer illusionierten persönlichen Interaktion zu den Influencer*innen unter den Follower*innen für hohe Aufmerksamkeit bei der Rezeption ihrer Beiträge sorgen kann. "Doch die simple Kommunikation über Politik hat auch ihre Schattenseiten", warnt Schmuck, "insbesondere, wenn Influencer*innen über Umweltthemen und Genderfragen kommunizieren, kann die Simplifizierung politischen Zynismus steigern". Gemeint ist damit, dass die vereinfachte Darstellung durch Influencer*innen einer – strenggenommen – recht komplexen politischen Realität die Follower*innen dazu verleiten kann, handelnde politische Akteur*innen sowie politische Maßnahmen als gescheitert und ineffizient anzusehen, gerade weil sie politisches Tun als simpel wahrnehmen.
Diese Erkenntnisse sind von großer Bedeutung, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass Influencer*innen mit ihrem (teilweise) Millionenpublikum die Reichweite von vielen Politiker*innen und Medienschaffenden übertreffen.
Publikationsdetails
Schmuck, D., Hirsch, M., Stevic, A., & Matthes, J. (2022). Politics – simply explained? How influencers affect youth's perceived simplification of politics, political cynicism, and political interest. The International Journal of Press/Politics, 27(3), 738-762. https://doi.org/10.1177/19401612221088987