Peter Vitouch – Ein Nachruf von Florian Arendt

18.07.2023

Peter Vitouch war über viele Jahre lang Professor an unserem Institut und prägte in dieser Rolle das Fach wie wenig andere. Persönliche Erinnerungen an einen großen Wissenschaftler und Menschen.

Ein Nachruf von Florian Arendt

Mir erschienen die Wörter "Doktorvater" oder "Doktormutter" früher zu meinen Studentenzeiten etwas seltsam. Diese Begrifflichkeiten werden ja, zumindest inoffiziell, zur Beschreibung derjenigen Personen verwendet, die Promovierende im Rahmen ihrer Dissertationsprojekte betreuen. Ich sah das damals eher kritisch und fand, dass Begriffe wie "Vater" oder "Mutter" in diesem Kontext doch übertrieben sind.

Nun ja, über die Jahre hat sich meine Sicht auf diese Wörter geändert. Der Grund dafür ist Peter Vitouch. Ich habe ihm viel zu verdanken: Er hat mich bei meinem Dissertationsprojekt betreut. Er hat mir die Chance gegeben, an der Universität meine berufliche Laufbahn zu starten und als Wissenschaftler zu reifen. Er ermöglichte es mir, meine wissenschaftliche Perspektive selbst weiterzuentwickeln. Ein "was wäre wenn" ist retrospektiv natürlich schwierig zu beurteilen, dennoch traue ich mich zu sagen: Ohne ihn wäre ich nicht ebenfalls Professor an diesem Institut geworden. Er hat mich in meiner Rolle als empirisch arbeitender Wissenschaftler, aber auch als Mensch stark geprägt.

Auch nach meiner Promotion bzw. dem Beginn seines Ruhestands riss der Kontakt nicht ab. Auch als ich einige Jahre an der Münchner Universität tätig war, trafen wir uns. Wenn ich mich so zurückerinnere: Seit meiner damaligen Doktoranden-Zeit haben wir uns regelmäßig gesehen. Typischerweise fanden diese Treffen im kleineren Kreis, manchmal auch in etwas größerer Runde statt. Wenn es die Zeit erlaubte, fanden diese Treffen zum gemeinsamen Abendessen am Anfang und Ende eines jeden Semesters statt. An den Zeitpunkt des ersten dieser Treffen kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber es muss wohl vor rund 15 Jahren gewesen sein. Die jährlich stattfindenden Gansl-Essen empfand ich als legendär und waren für mich ein Fixpunkt, auf den ich mich freute. Das trifft auch auf das gemeinsame Stelzenessen zu. Hier lernte ich Peter von privater Seite näher kennen.

Er fragte uns immer interessiert, was denn in unseren Leben so passiert sei. Er hörte sich gespannt unsere Erzählungen an. Auch er erzählte bei diesen Treffen viel, etwa von seinen zahlreichen Reisen rund um die Welt – ob das nun Wiener Opernbälle in weit entfernten Städten waren oder eine Kreuzfahrt auf einem tollen Segelschiff. Er berichtete auch von seinen Oldtimer-Ausfahrten oder seinen Erlebnissen aus früheren Tagen wie etwa dem Reiten – ein Foto, das ihn im Sprung über ein Hindernis zeigte, blieb mir besonders in Erinnerung. Auch seine vielen anderen Interessen wie etwa die Malerei waren Themen. Dass er vor seiner Karriere als Wissenschaftler auch in der Musik wirkte (Kontrabass mit Konzertreife!), hat mich ebenso beeindruckt. Ebenfalls sein stark ausgeprägter Sinn für soziale Gerechtigkeit fiel mir wiederholt positiv auf.

Oft kam er zu diesen Treffen in Begleitung von seiner geliebten Frau, Sissi – in meinen Augen ein Dreamteam mit wunderbarem Umgang untereinander. Über viele Jahre kam auch als "Unterstützung" die von ihm (und Sissi) heißgeliebte Hündin, Barbarella, mit. Die Englische Bulldogge saß dann meistens ganz brav bei seinen Füßen und schaute in der Gegend herum. Ein Highlight war für mich ein Foto, das uns Peter zeigte: Barbarella durfte die beiden auch bei ihren Oldtimer-Ausfahrten begleiten. Als "Beifahrerin" auf der Rückbank! Mit Barbarella besuchte Peter auch die Feier zum Abschluss meines Doktoratsstudiums—im Irish Pub mit der Englischen Bulldogge.

Ja, ich sehe den Begriff "Doktorvater" heute anders als früher. Peter wurde, das traue ich mir sagen, ein "väterlicher Freund". Klar: ein "Doktorvater" ist kein "Vater" im herkömmlichen, familiären Sinn. Er ist natürlich auch kein "gleichaltriger Kumpel"-Typ für mich. Es ist natürlich eine andere Qualität. Es ist etwas Eigenes. Uns beiden war/ist die Wissenschaft sehr wichtig und das haben wir miteinander geteilt; auch klar über die berufliche Ebene hinaus. Das rechtfertigt in meinen Augen einen eigenen Begriff. Ja, Doktorvater gehört heute zu meinem Wortschatz.

Ich bewunderte und bewundere Peter Vitouch für seine Art, Wissenschaft zu betreiben: Für mich ragte er am damaligen Wiener Publizistik-Institut, so gegen Anfang des Jahrtausends, klar heraus. Diese zeitliche Einordnung ist sehr wichtig. Man muss seine Leistungen immer vor dem damaligen zeitlichen Kontext sehen. Herausragend! Peter Vitouch hatte im deutschsprachigen Raum, grob gesprochen, ein eigenes Fach mitbegründet: die Medienpsychologie. An unserem kommunikationswissenschaftlichen Institut hat Peter dieses Fach vertreten. Er war ohne Zweifel ein Pionier der psychologisch-orientierten Medienforschung. Darunter fällt auch die Gründung der ersten akademischen Fachzeitschrift dieser Teildisziplin, dem heute international anerkannten Journal of Media Psychology (damals noch deutschsprachig erschienen). In Wien leitete er das Ludwig Boltzmann Institut für empirische Medienforschung, in welchem er wegweisende Arbeiten im Bereich der psychophysiologischen Medienforschung durchführte. Auch seine Forschung zur Rolle der Angstbewältigung im Medienkontext sind besonders hervorzuheben. Diese Arbeiten hatten Strahlkraft, auch weit über die österreichischen Ländergrenzen hinweg. Er war einer der ersten. Er war seiner Zeit voraus.

Peter Vitouch hatte sich nie in den "Elfenbeinturm der Wissenschaft", eine Metapher wie man sie manchmal hört, zurückgezogen. Im Gegenteil. Er meldete sich im Rahmen gesellschaftlicher Debatten häufig zu Wort – in seiner Rolle als Wissenschaftler, der auf Basis empirischer Evidenz argumentierte und zur Versachlichung der Diskussion beitragen wollte, oder auch "nur" als "einfacher Bürger", der seine Sicht auf gewisse Themen mitteilte. Peter hatte zu vielen gesellschaftlich wichtigen Themen eine fundierte Meinung basierend auf seiner fachlichen Expertise – etwa zum Stand der Medien, zum Fach oder auch zu unserem Institut. Wenn er diese Ansichten nach sorgfältigen Überlegungen gebildet hatte, dann vertrat er diese. Auch öffentlich. Auch, wenn sie vielleicht unbequem waren. Wir haben nicht immer alles gleich gesehen, aber wir haben einander zugehört. Diese Gespräche werde ich sehr vermissen!

Das, was heute an Universitäten häufig als "public outreach" oder "third mission" bezeichnet wird – der Universitäts-Professor Peter Vitouch hatte das schon zu einem Zeitpunkt getan, als es diese Erwartung an unserer Universität in dieser Form wohl so noch gar nicht gab. Auch da war er seiner Zeit voraus. Ich denke hier an seine zahlreichen Beiträge in den Medien, aber auch an seine Bücher. Neben seinem zentralen wissenschaftlichen Werk Fernsehen und Angstbewältigung, das sicherlich einen Meilenstein der medienpsychologischen Forschung im deutschsprachigen Raum darstellt, blieb mir persönlich sehr stark sein für eine breitere Zielgruppe geschriebenes Buch In Medias Res. Gedanken hinter einer Kolumne in Erinnerung. Ich habe es damals verschlungen. Zum Hintergrund: Peter Vitouch schrieb regelmäßig Kolumnen für österreichische Medien. In diesem Buch sammelte er seine Kolumnen über Phänomene der Medienrezeption und -wirkung mit aktueller gesellschaftlicher Relevanz, die er für eine große österreichische Tageszeitung verfasste. Aufhänger war typischerweise ein Nachrichtenereignis, welches er mit Hilfe der Theorien und empirischer Befunde der Medienforschung einordnete. In seinem Buch ergänzte er diese Kolumnen nun mit weiterer wissenschaftlicher Evidenz. Er rahmte diese Kolumnen also in einen breiteren wissenschaftlichen Kontext ein und lieferte für viele Phänomene eine detailliertere, theoretische Fundierung mit hoher aktueller Relevanz. Es verdeutlichte mir damals die immense Bedeutung, welche die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und eben auch die psychologisch-orientierte Medienforschung für die Erklärung aktueller gesellschaftlicher Phänomene haben kann. Für diese Beiträge wurde er mehrfach ausgezeichnet, wie etwa mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse und dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien. Er war auch Mitglied im ORF-Publikumsrat. Ebenfalls beriet er den Bayerischen Rundfunk (BR) und den Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Deutschland. Auch das war ihm wichtig.

Peter Vitouch erzählte wiederholt stolz, dass er Tausenden (!) von Studierenden theoretisches, empirisches und methodisches Wissen in Bezug auf die Medien(forschung) vermittelte und damit wohl mehrere Generationen von Studierenden prägte, die anschließend in zahlreichen Berufen der gesellschaftlichen Kommunikation Fuß fassten. Auch das ist "public outreach" oder "third mission" – ein bedeutender Beitrag. Wobei: "Tausende" ist wohl eine substantielle Untertreibung. Bei einem unserer Treffen haben wir einmal versucht, eine genauere Zahl überschlagsmäßig abzuschätzen. An die genaue Zahl kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber ich weiß: Wir kamen auf eine fünfstellige Studierendenzahl. Unglaublich!

Peters Tod macht mich fassungslos und sehr traurig. Er wird für mich in der Rolle des Doktorvaters fest in Erinnerung bleiben. Ich werde speziell unsere Treffen, sein Wissen, seine Art Dinge zu betrachten und seinen Humor vermissen. Das inkludiert die zahlreichen lustigen Geschichten aus seinem Leben, die er so toll erzählen konnte. Auch viele Geschichten über sein Leben als Wissenschaftler, die so nirgends stehen. Ich werde mich hoffentlich noch lange an diese Geschichten erinnern können. Was haben wir oft gelacht!

Das Leben ist hart. In diesen Momenten, in welchen ich diese Zeilen schreibe, trauere ich über Peters Tod, der vor mittlerweile mehr als einer Woche erfolgte. Die Nachricht schlug bei mir wie ein Blitz ein. Vor zwei Tagen, also kurze Zeit nach Peters Tod, kam mein Sohn auf die Welt. Trauer und Freude geben sich die Hand. Peter war in meiner Wahrnehmung ein Familienmensch: Er erzählte einiges, etwa von seinen Söhnen, auf die er beide sehr stolz war, und, absolut nicht zu vergessen, von seiner Rolle als Großvater. In meiner Wahrnehmung stand diese Rolle vor allem in den letzten Jahren für ihn stark im Zentrum. Das bereitete ihm Freude! Ich hätte Peter gerne meinen Sohn vorgestellt. Es schmerzt, dies nun nicht mehr tun zu können. Viele Menschen werden Peter sehr vermissen. Ich auch.