von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)
Die Flüchtlingskrise von 2015 hat – was das Migrationsmanagement belangt - europäische Entscheidungsträger*innen politisch auf die Probe gestellt. Im Zuge dessen haben europäische Regierungen u.a. digitale Informationskampagnen eingeführt, um Migrant*innen vor Ankunft im Zielland über sichere Fluchtwege sowie Asylmöglichkeiten zu informieren. Wie jede andere Form von demokratischer Regierungskommunikation sollten jene Informationskampagnen möglichst neutral und parteiunabhängig aufbereitet werden, damit Flüchtlinge die Möglichkeit haben, wohlinformierte Entscheidungen während ihrer Flucht zu treffen. Kritiker*innen bemängeln jedoch Tenor und Inhalt der behördlichen Migrationskommunikation, sie sei nicht objektiv und würde abschreckende Signale senden.
In ihrem Forschungsprojekt untersuchte die Sozialwissenschaftlerin Verena K. Brändle den Webauftritt der deutschen und italienischen Informationskampagnen "Rumours About Germany" (RAG) und "Aware Migrants" (AW). Inhaltlich werden dort Beiträge sowie Links und Verweise auf externe Quellen und Akteur*innen angeboten. Die Websites sind in mehreren Sprachen verfügbar. Die Analyse bezog sich hierbei ausschließlich auf die englische Version. Zur Erhebung der Inhalte wurde das Programm R verwendet, wobei alle Beiträge und Quellen bis zu Beginn der Analyse im April 2020 gesammelt wurden. Die Auswertung des Materials erfolgte anschließend mit Hilfe des Analyseprogramms MAXQDA. Um die beiden Informationskampagnen miteinander vergleichen zu können, wurden u.a. die Häufigkeiten bestimmter Schlüsselwörter sowie die Hauptthemen analysiert, mit dem Ziel, die strategischen Botschaften, welche die demokratische Akteur*innen in den Informationskampagnen für potenzielle Migrant*innen eingebettet haben, zu identifizieren.
Die Kommunikation wurde seit der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/16 eindeutig intensiviert, da viele Informationsangebote zu irregulärer Migration veröffentlicht wurden. Unter den Informationen kristallisiert sich vor allem die Botschaft heraus, dass Einreisebedingungen kaum zu erfüllen seien und irreguläre Migration in Tod und Missbrauch enden würde. "Die Ergebnisse zeigen, dass die zwei untersuchten Kampagnen dominante Policy-Diskurse zu irregulären Migrationsrouten wiederholen und sich vor allem auf Risiken und Gefahren konzentrieren, anstatt umfassend und mit Blick auf die Bedürfnisse der Menschen auf irregulären Routen zu informieren", erklärt Studienautorin Verena Brändle. Weiters führt sie fort: "Diese Ergebnisse verbinden sich auch gut mit der breiteren Migrationsforschung, die immer wieder zeigt, dass in der europäischen Governance von irregulärer Migration sicherheitspolitische Ziele in humanitäre Ansätze verpackt werden."
Interessant sei außerdem die Auslegung der aufbereiteten Informationen und Weiterleitungen zu diversen Quellen, da die deutsche Kampagne (RAG) Informationen für Migrant*innen bietet, die "Deutschland als Zielland erreichen möchten, und konzentriert sich dabei auf Rückkehrprogramme und Einreisebestimmungen". Die italienische Kampagne (AW) richtet ihr Informationsprogramm hingegen danach aus, den Mittelmeerraum lediglich als Ankunftsregion für Migrant*innen zu präsentieren, von der aus die Betroffenen ihre Reise zu ihrem gewünschten Zielland fortführen können.
Auch bei der Art von Quellen unterscheiden sich die beiden Kampagnen voneinander. RAG stützt sich größtenteils auf institutionelle und behördliche Quellen, was darauf hindeutet, dass der Schwerpunkt der Informationen auf Regeln und Verfahren der Migration liegt, welche für das Zielland relevant sind. Gleichzeitig stellen sie Deutschland als Ankerpunkt für lediglich hochqualifizierte Migrant*innen dar und illustrieren dabei die strengen Anforderungen für den Erhalt eines Visums sowie die Probleme des deutschen Arbeitsmarktes für Geringqualifizierte. AW stellt hingegen überwiegend Nachrichten aus Zeiten der Flüchtlingskrise bereit. Die Schwerpunkte der Artikel basieren hauptsächlich auf den Themen der Rettungsmissionen im Mittelmeer, die Anzahl an Todesopfern auf verschiedenen Routen oder dem sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen im Menschenhandel. Darunter befinden sich allerdings auch einige wenige Beiträge zu wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten von Personen, die in ihr Heimatland zurückkehrten.
Zusammengefasst zieht sich das Narrativ von Risiken und Perspektivlosigkeit wie ein roter Faden durch beide EU-Informationskampagnen. Es wird ersichtlich, dass sie sich auf die Eigeninteressen des Landes stützen, anstatt auf die Bedürfnisse und Rechte der Migrant*innen informativ einzugehen. Diese Erkenntnis gleicht nicht dem normativen Standard demokratischer Regierungskommunikation, welche "Neutralität, Transparenz und Abstand zu parteipolitischen Zielen" beinhalten sollte, erklärt Brändle.
Publikationsdetails
Brändle, V. K. (2022). Well informed? EU governments' digital information campaigns for (potential) migrants. Journal of Immigrant & Refugee Studies. Advance online publication. https://doi.org/10.1080/15562948.2022.2046896