#metoo im Medien-Mittelpunkt: Wie sich die Nachrichtenberichterstattung über sexualisierte Gewalt seit des viralen Hashtags verändert hat

14.02.2022

Neueste Studienergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Berichterstattung über sexuelle Gewalt von reinen Einzelberichten zu breiteren Diskussionen entwickelt hat.

von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)

Im Oktober 2017 zog das virale Twitterhashtag #metoo den Fokus globaler Debatten auf das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Angefangen hat die Debatte mit den Anschuldigungen gegen den ehemaligen Filmproduzenten Harvey Weinstein. Die amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano reagierte mit folgendem Twitterpost auf den öffentlichen Vorwurf: "Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder missbraucht wurden, als Status #metoo schreiben würden, dann könnten wir den Menschen ein Gefühl für das Ausmaß des Problems vermitteln". Laut dem ZDF wurde das Hashtag innerhalb der nächsten 24 Stunden weltweit über 500.000 Mal auf Twitter und zwölf Millionen Mal auf Facebook genutzt. Auch Monate nach dem Einschlag des Twittertrends dominierte das Thema die internationale Nachrichtenagenda.

Jegliche Berichterstattung ist gekennzeichnet durch das Framing der Journalist*innen. Framing bedeutet, dass einige Aspekte eines Ereignisses eher hervorgehoben oder in den Hintergrund gerückt werden, was dem Beitrag eine gewisse Deutung verleiht. Welche Informationen die Öffentlichkeit nun zu Themen erhält, hängt hauptsächlich davon ab, welche Informationen Journalist*innen in einen Beitrag einbauen und welche nicht. Dies wirkt sich wiederum maßgeblich auf die öffentliche Meinungsbildung aus. Sexualisierte Übergriffe gegen Frauen sind ein allgegenwärtiges soziales Problem, welches in der Vergangenheit oft vertuscht oder ignoriert wurde. Aus diesem Grund ist die wissenschaftliche Betrachtung journalistischer Berichterstattung wichtig, um thematische Frames und den Einfluss globaler Bewegungen auf den Tenor im Journalismus zu überblicken.

In der Studie haben Forscherinnen der Universitäten Wien und Klagenfurt den Einfluss der #metoo Debatte auf das Framing sexualisierter Gewalt in amerikanischen Nachrichtenmedien untersucht. Um die Unterschiede im Framing zu ermitteln, fanden Beiträge Verwendung, welche zwischen Oktober 2016 und Oktober 2018 publiziert wurden, d.h. ein Jahr vor und ein Jahr nach dem viralen #metoo Tweet. Die 612 Artikel stammten aus vier auflagestarken Nachrichtenmedien der USA: The New York Post, The Wall Street Journal, The New York Times und The Washington Post. Wie wurde das Thema sexualisierte Gewalt in der Zeit vor bzw. nach der #metoo Welle geframed?

Die Forscherinnen stellten fest, dass sich, obwohl ein Großteil der Berichterstattung sich wiederkehrenden Handlungsszenarien mit ähnlichen Akteur*innen widmete, vor allem die Art der Fallschilderung änderte. Seit #metoo gehen Journalist*innen eindringlich(er) auf die Art der sexualisierten Gewalt ein. Auch diverse Typen sexualisierter Gewalt (bspw. verbal) wurden stärker thematisiert, wobei der Schwerpunkt der Artikel vor #metoo hauptsächlich auf körperlichen Handlungen lag. Die Frage der Haftung bzw. Schuld sexualisierter Gewalt differenzierte sich ebenfalls nach #metoo. So wurden die Täter*innen verstärkt auf implizite oder explizite Weise für ihre Tat verantwortlich gemacht. Victimblaming, sprich die Schuldzuweisung den Opfern gegenüber, fand kaum Raum in der Berichterstattung. Sowohl vor als auch nach #metoo sprachen Journalist*innen Empfehlungen zur Prävention sexueller Gewalt an. In ihren Beiträgen plädier(t)en sie für einen gesellschaftlichen Wertewandel und appellierten an Bildungs- und Rechtssysteme, ihre Strukturen aufzubrechen und mehr Verantwortung zu übernehmen. Kritisiert wurde zudem, dass u.a. Bildungseinrichtungen wie Hochschulen in Folge von Vergewaltigungen keine Maßnahmen ergriffen. Zuletzt wurde untersucht, ob die Journalist*innen – entgegen der journalistischen Konvention der Objektivität – ihre persönliche Haltung in die Beiträge einbrachten. Die Analyse zeigte, dass aktiver Journalismus bereits vor #metoo eingebettet wurde. In neuen Medienframes (bspw. Thema Soziale Issues), welche erst im Zeitraum nach #metoo ermittelt wurden, nehmen Journalist*innen ebenfalls eine stärkere Rolle ein.

Mit ihrer Studie beleuchten die Forscherinnen den Einfluss gesellschaftlicher Bewegungen auf Stil und Fokus der Berichterstattung. Das Ergebnis ihrer Studie kommentieren die Autorinnen wie folgt: "Die #metoo Debatte ist ein Beispiel dafür, welch unglaubliches Potenzial soziale Medien für soziale Bewegungen haben: Ein einziger Post kann unsere Aufmerksamkeit auf ein (seit langem bestehendes) gesellschaftliches Problem lenken, die Diskussion neu entfachen und Einfluss darauf nehmen, wie über dieses Thema berichtet wird. Das kann positive wie negative Konsequenzen nach sich ziehen. In unserer Studie zeigt sich beispielsweise, dass in Artikeln nach #metoo die Verantwortlichkeit stärker bei vermeintlichen Täter*innen gesucht wurde. Auf den ersten Blick ist dies eine positive Entwicklung. Gleichzeitig wurden strukturgebende Einrichtungen (z.B. Bildungseinrichtungen, private Organisationen) jedoch weniger häufig zur Verantwortung gezogen. Dies fördert die Individualisierung des Problems und lenkt stark davon ab, dass sexualisierte Gewalt (auch) ein systemisches Problem ist. Genau solche Prozesse müssen wir uns in der Forschung und im Journalismus ständig bewusst machen, sie beobachten und reflektieren, um eine Diskussionskultur zu fördern, die zur Lösung von Problemen beiträgt und sie nicht lediglich verlagert."


Publikationsdetails

Noetzel, S., Mussalem Gentile, M. F., Lowery, G., Zemanova, S., Lecheler, S., & Peter, C. (2022). Social campaigns to social change? Sexual violence framing in U.S. news before and after #metoo. Journalism. Advance online publication. doi:10.1177/14648849211056386

Die vorliegende Studie setzt sich mit eingebetteten Nachrichtenframes im Rahmen der Berichterstattung um sexualisierte Gewalt vor und nach der Verbreitung des Twitterhashtags #metoo auseinander. Grundsätzlich geht es darum, den Fragen nachzugehen, wie Journalist*innen sexualisierte Gewalt in den Nachrichten darstellen und ob sich diese Inszenierungspraktiken im Zuge der #metoo Bewegung verändert haben. Zur Ermittlung der Framingsetzung wurden 612 Artikel mit dem benannten Themenschwerpunkt aus vier auflagenstarken US-amerikanischen Online-Zeitungen ausgewählt und anhand einer quantitativen Inhalsanalyse analysiert. Die Artikel stammen aus den Zeiträumen Oktober 2016 bis Oktober 2018, so konnte der Vergleich zwischen dem Jahr vor und dem Jahr nach dem viralen #metoo-Tweet ermittelt werden. (Image © Lum3n)

Selina Noetzel ist seit Juni 2020 Universitätsassistentin (Praedoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen politische Kommunikation, Medieneffekte, Medienpsychologie sowie Medienkompetenz. (Image © Anja Stevic • AdMe Research Group)

Sophie Lecheler ist seit 2016 Professorin für Kommunikationswissenschaft mit Fokus auf politischer Kommunikation an der Universität Wien. Sie ist Sprecherin der Vienna Doctoral School of Social Sciences (ViDSS) sowie Leiterin der Political Communication Research Group. Ihre Hauptforschungsinteressen umfassen politischen Journalismus, die digitale Demokratie, Emotionen und politisches Framing. (Image © Leedina Portraits)