von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)
Es ist heutzutage längst keine Neuigkeit mehr, wenn populistische Politiker*innen oppositionellen Nachrichtenmedien vorwerfen, Desinformation oder Fake News zu verbreiten. Allerdings gibt es nur wenige empirische Untersuchungen über die Auswirkungen solcher öffentlichen Anschuldigungen. Forscher*innen der Universität Wien und der Vrije Universiteit Amsterdam untersuchten mittels eines Online-Experiments, wie sich Vorwürfe der "Lügenpresse" durch populistische Politiker*innen auf das generelle Medienvertrauen sowie auf die Haltung der Menschen gegenüber den kommunizierenden Politiker*innen auswirken. 1.330 österreichische Teilnehmer*innen wurden zunächst zu ihrer Soziodemografie und ihrer populistischen Einstellung (sofern vorhanden) befragt. Die Teilnehmenden wurden schließlich in eine von drei Gruppen eingeteilt: Zwei Experimentalgruppen und eine Kontrollgruppe. Jeder Gruppe wurde eine Reihe von fiktiven Tweets zu einem politischen Thema vorgelegt, die entweder mit Desinformationsvorwürfen begleitet wurden oder nicht. Ihre Reaktionen zu den Tweets wurden anschließend in einem digitalen Fragebogen erfasst und verglichen.
Die Schlagwörter "Lügenpresse" oder "Fake News" lassen sich aus heutigen politischen Debatten kaum mehr wegdenken. Auch in Österreich haben mehrere Parteimitglieder der FPÖ Desinformationsvorwürfe gegen Nachrichtenmedien erhoben. Doch welche Folgen haben derartige öffentliche Vorwürfe auf das Medienvertrauen von Rezipient*innen und ihre Haltung gegenüber den Politiker*innen, die diese Vorwürfe vorbringen?
Politiker*innen genießen aufgrund ihrer öffentlichen Positionierung ein hohes Maß an Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft und gelten in der Regel als Meinungsführer*innen. Es existieren zahlreiche Belege dafür, dass ihre öffentliche Medienkritik das Misstrauen gegenüber Medien verstärkt, und zwar dadurch, dass Bürger*innen teilweise die Kritik für bare Münze nehmen, anstatt Nachrichtenmedien und -inhalte selbst zu bewerten. Dieses Phänomen hat sich durch die Verbreitung von sozialen Medien intensiviert: für viele Menschen findet der Nachrichtenkonsum zum Großteil auf sozialen Plattformen statt, wo häufig Nachrichtenbeiträge mit wertenden Kommentaren geteilt werden. In diesem Kontext werden oft nur der jeweilige Kommentar und die Kurzvorschau des Artikels gelesen, wobei insbesondere negative Kommentare hohe Aufmerksamkeit ernten und die Haltung der Lesenden gegenüber dem geteilten Inhalt prägen können.
Öffentliche Medienkritik als häufig genutzte Kommunikationstaktik von Populist*innen
Angriffe auf die Medien gelten als fester Bestandteil populistischer Kommunikation. Zwar gibt es legitime Sorgen bezüglich der Verbreitung von Desinformation im Netz; allerdings instrumentalisieren viele populistische Politiker*innen diese Sorgen, indem sie versuchen, ihre medialen Kritiker*innen öffentlich zu diskreditieren.
Der Effekt wurde durch ein Online-Experiment veranschaulicht
Forscher*innen der Universität Wien und der Vrije Universiteit Amsterdam haben sich in ihrer Studie mit den Auswirkungen der Vorwürfe durch Politiker*innen auf die Wahrnehmung von Rezipient*innen auseinandergesetzt. Die Untersuchung ist von großer Bedeutung, da bisher wenig Forschung auf diesem Gebiet existiert. In einem Online-Experiment mit 1.330 Personen aus Österreich prüften die Forschenden die Reaktionen der Teilnehmenden auf die Twitter-Seite eines fiktiven Politikers. Die Verwendung einer fiktiven politischen Person ermöglicht es, die Auswirkungen der Twitter-Botschaft unabhängig von parteipolitischen oder ideologischen Neigungen festzustellen. Die Befragten wurden zunächst zu ihrer Soziodemografie und ihrer populistischen Einstellung (falls vorhanden) befragt und dann in eine von drei Gruppen eingeteilt: Die Experimentalgruppen 1 und 2 bekamen eine Reihe von Twitter-Posts zu sehen, von denen manche Desinformationsvorwürfe gegen Medien enthielten. Die Tweets in einer Gruppe enthielten das plakative Schlagwort "Fake News", während die Tweets der anderen Gruppe mit dem Hinweis versehen waren, dass die Informationen des geteilten Artikels "absichtlich faktisch falsch seien". Die Kontrollgruppe rezipierte Tweets ohne Desinformationsvorwürfe des Politikers. Nach der Rezeption teilten sie ihre Reaktionen in einem Fragebogen mit.
Politiker*innen beeinflussen, wie wir Nachrichten wahrnehmen
Ko-Studienautorin Jana Laura Egelhofer hält fest: "Politiker*innen aus vielen Ländern werfen Medien vor, Desinformation oder 'Fake News' zu verbreiten. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass solche Desinformationsvorwürfe dazu führen können, dass das Vertrauen der Bürger*innen in das bezichtigte Medium und die wahrgenommene Korrektheit der Berichterstattung sinkt." Erstaunlich ist, dass dieser Effekt nach nur einer Darbietung bei den Teilnehmenden festgestellt werden konnte. Nachdem derartige Anschuldigungen durch Politiker*innen an die Medien mittlerweile alltäglich vorkommen, warnen die Forschenden davor, dass diese für Journalist*innen als Anbieter sachlicher Informationen auf Dauer bedrohlich werden könnten.
Populismus schadet dem generellen Medienvertrauen – aber nicht denen, die die Medien diskreditieren wollen
"Personen mit starken populistischen Einstellungen scheinen diese Anschuldigungen zusätzlich auf die Medien als Institution zu verallgemeinern, was in weiterer Folge zu einem verringerten allgemeinen Medienvertrauen führt. Gleichzeitig scheinen Desinformationsvorwürfe keinen Einfluss auf das Vertrauen in jene Politiker*innen zu haben, die solche Anschuldigungen verwenden", erklärt Egelhofer. Die Teilnehmenden stuften zwar die Beiträge mit Desinformationsvorwürfen als Manipulationsakt des twitternden (fiktiven) Politikers ein, widersprüchlich ist aber, dass dies keinen Einfluss auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit des Politikers hat. Politiker*innen könnten demzufolge solche Vorwürfe aussprechen, ohne rückwirkend Konsequenzen in der Haltung ihrer Wählerschaft befürchten zu müssen.
Reicht der Stempel "Fake News" aus, um Medienvertrauen zu senken?
Letztlich bietet die Studie auch Klarheit über die Folgen des – mittlerweile überall anzutreffenden – "Fake News"-Begriffs. Unabhängig davon, ob das Buzzword im Tweet verwendet oder ob der Nachrichtenbeitrag im Tweet als absichtliche Falschmeldung charakterisiert wurde, zeigte sich keinen Unterschied. Dementsprechend beeinflusst letztendlich die Desinformations-Anschuldigung des*r Politiker*in die Wahrnehmung der Menschen gegenüber Nachrichtenmedien und den von ihnen bereitgestellten Informationen, während die Verwendung von "Fake News" nicht als primär treibender Faktor auszumachen ist.
Die Studie illustriert, welche Wirkungsmacht Politiker*innen gegenüber Bürger*innen besitzen. Jana Laura Egelhofer betont, dass weitere Forschung jedoch notwendig sei, um diese Befunde zu replizieren und zu erhärten.