Liken, teilen, kommentieren, melden: Reaktionen auf geschlechterfeindliche, homophobe und sexistische Hassrede in sozialen Medien

21.12.2023

Die Verbreitung von rechter und ideologischer Hassrede in sozialen Medien ist ein komplexes Phänomen. Die vorliegende Studie strebt ein tieferes Verständnis für den Umgang mit geschlechterfeindlicher Hetze in sozialen Medien an. Die vergleichende Untersuchung hat Unterschiede in der Interaktion der Nutzer*innen, ausgedrückt durch (das Vergeben von) Likes, teilen, kommentieren und melden, in Deutschland und Ungarn herausgearbeitet.

von Annika Arndt (✉ annika.arndt@univie.ac.at)

Soziale Medien dienen dem rechten politischen Flügel sowie konservativen und religiösen Anhänger*innen als Plattform zur Verbreitung von anti-liberalen, antifeministischen und Anti-LGBTQI+ Inhalten. Die vorliegende Studie, die Claudia Wilhelm federführend verantwortet hat, zielt darauf ab, kulturelle Unterschiede zwischen Ungarn und Deutschland in Bezug auf den Umgang mit geschlechterfeindlichen Äußerungen in sozialen Medien aufzuzeigen. Die angewandte Methode der Conjoint-Analyse ermöglicht die eingehende Analyse der Bedeutung verschiedener Inhalts- und Quellenmerkmale von Postings im Hinblick auf das Verhalten der Nutzer*innen. In diesem Kontext untersuchten die Forscher*innen die Reaktionen auf Facebook-Posts, die als geschlechterfeindlich, homophob oder sexistisch eingestuft wurden. Zwischen Mai und Juni 2021 wurden insgesamt 515 Teilnehmer*innen aus Deutschland und 740 Teilnehmer*innen aus Ungarn online rekrutiert. Die Ergebnisse belegen deutliche länderspezifische Unterschiede in der Akzeptanz und Ablehnung solcher Posts.


Digitale Hassrede beeinflusst nicht nur die Online-Welt, sondern hat auch Auswirkungen auf die reale Welt und das gesellschaftliche Miteinander. Geschlechterspezifische Hassrede richtet sich vermehrt gezielt gegen Frauen, sexuelle Minderheiten oder feministische Aktivist*innen. Als Konsequenz kann die Spaltung und die Bedrohung der gesellschaftlichen Teilhabe dieser Gruppen stehen. Aus diesem Grund ist ein tieferes Verständnis für diese komplexen Vorgänge in sozialen Medien von entscheidender Bedeutung, um konsequent gegensteuern zu können.

Die Kommunikationswissenschaftler*innen Claudia Wilhelm und Andreas Schulz-Tomančok betonen in diesem Kontext, dass sich Ungarn und Deutschland kulturell und politisch in ihrem Umgang mit Geschlechterfragen und Diskriminierung unterscheiden. Daraus ergibt sich die Frage, ob zwischen den ungarischen und deutschen Nutzer*innen Unterschiede in der Akzeptanz und Ablehnung von geschlechterfeindlicher Hassrede existieren. Ein Ziel der vorliegenden Studie war es entsprechend, zu untersuchen, ob und inwieweit es innerhalb der drei Hauptthemen von Hassrede (Geschlechterfeindlichkeit, Homophobie und Sexismus) länderspezifische Unterschiede gibt.

Engagement und Hassreden in sozialen Netzwerken

Das Engagement, d.h. Reaktionen von Nutzer*innen, in sozialen Medien kann sich in unterschiedlichen Formen zeigen und sowohl Akzeptanz als auch Ablehnung ausdrücken. In dieser Studie lag der Fokus ausschließlich auf Hassrede auf der sozialen Plattform Facebook, wobei als Formen des Engagements das Liken, Teilen, Kommentieren und Melden solcher Inhalte durch Nutzer*innen untersucht wurde.

Die untersuchten Formen des Engagements implizieren verschiedene Motivationen und Intensitäten der Auseinandersetzung seitens der Nutzer*innen. Liken gilt beispielsweise als passivste, niedrigschwelligste Form des Engagements. Das Teilen eines Posts ist eine geplante Handlung, wobei es das Ziel der Nutzer*innen ist, die entsprechenden Inhalte gezielt im eigenen Netzwerk zu verbreiten. Das Kommentieren stellt die aktivste Form des Engagements auf sozialen Medien dar. Ebenso aktiv kann das sogenannte Flagging oder Melden verortet werden, bei dem Nutzer*innen Inhalte als unangemessen markieren.

Hassrede bezeichnet Kommunikation, die gegen eine Person oder Gruppe gerichtet ist und sich abwertender und diskriminierender Sprache gegen Religion, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Abstammung, Sexualität oder Identifikationsfaktoren bedient. Als spezifische Formen von Hassrede wurden in der Studie Agitation, Diffamierung, Verschwörungstheorien und die Verbreitung nicht-bestätigter Gerüchte untersucht. Die analysierten Hassreden beinhalteten antifeministische Positionen, Sexismus und Angriffe gegen sexuelle Minderheiten.

Methodik der Studie: Analyse von Inhalts- und Quellenmerkmalen in geschlechterfeindlicher Hassrede

Das Forschungsteam analysierte Inhaltsmerkmale und Quellenmerkmale in Posts, die Inhalte von Hassrede enthalten. Der gewählte Choice-Based-Conjoint-Ansatz erwies sich als besonders geeignet, um Daten über das Engagement der Nutzer*innen in Bezug auf Medieninhalte zu erheben und verstehen. Mithilfe dieses Ansatzes wurden die unterschiedlichen Auswirkungen von Inhaltsmerkmalen (wie Thema und Art der Hassrede) sowie Quellenmerkmalen (wie Geschlecht und Status als Politiker*in oder normale Bürger*in) auf das Engagement untersucht. Dies ermöglichte die Analyse der Auswirkungen verschiedener Variationen von Faktoren, darunter Inhalte und Quellen der Hassrede, sowie individuelle Einstellungen auf das Engagement der Nutzer*innen. Für das Experiment wurden im Mai und Juni 2021 insgesamt 515 Teilnehmer*innen aus Deutschland und 740 Teilnehmer*innen aus Ungarn online rekrutiert. In der jeweiligen Muttersprache wurden von den Forscher*innen 16 Facebook-Posts entworfen. Diese Posts basierten auf Original-Beiträgen und wurden gemäß der Studie inhaltlich und hinsichtlich der Quelle manipuliert.

Variationen im Nutzer*innenverhalten: Deutsche vs. ungarische Teilnehmer*innen in der Interaktion mit geschlechterfeindlicher Hassrede

Die Ergebnisse der Studie lassen bei deutschen Teilnehmer*innen ein stärkeres Engagement mit antifeministischen Inhalten und bei ungarischen Teilnehmer*innen ein stärkeres Engagement mit homophoben Beiträgen erkennen. Deutsche Teilnehmer*innen neigten dazu, anti-Gender Beiträge häufiger zu liken und zu teilen als sexistische Beiträge, während ihre Bereitschaft, homophobe Beiträge zu unterstützen, geringer war. Im Gegensatz dazu zeigten ungarische Teilnehmer*innen eine höhere Neigung, homophobe Beiträge zu liken und zu teilen, gefolgt von geschlechterfeindlichen Beiträgen, während ihr Engagement mit sexistischen Beiträgen im Vergleich dazu geringer war. Die Form der Hassrede – Verschwörung oder Hetze – war für die ungarischen Nutzer*innen eher irrelevant. Bei deutschen Teilnehmer*innen fanden Verschwörungen oder Gerüchte weniger Zuspruch.

Weitere Ergebnisse weisen darauf hin, dass weder die Merkmale der Quelle, noch die Metriken der sozialen Medien in der deutschen Stichprobe einen Einfluss auf die Absicht hatten, einen Beitrag zu liken. Für die ungarischen Teilnehmer*innen ließen sich ebenfalls lediglich geringe Auswirkungen der Quellenmerkmale auf die Absicht des Likens und Teilens nachweisen. Beiträge von Männern und Politiker*innen lösten ein höheres Maß an Engagement als Beiträge von Frauen und gewöhnlichen Mitbürger*innen aus. In der deutschen Stichprobe hatte die Art des Akteurs einen leichten Einfluss auf die Absicht zu kommentieren und zu melden, wobei Beiträge von Politiker*innen ebenfalls häufiger kommentiert wurden.

Fazit: Erhebliche Unterschiede in der Rezeption von geschlechterfeindlicher Hassrede

Die Ergebnisse dieser Studie weisen auf erhebliche Unterschiede im Kontext von geschlechterfeindlicher Hassrede zwischen Ungarn und Deutschland hin. Deutliche Auswirkungen zeigen sich bezüglich der Inhalte von geschlechterfeindlichen Beiträgen (Thema, Art der Hassrede), während die Einflüsse der Quellenmerkmale im Vergleich dazu gering sind. Interessanterweise wirkt sich die Art der Hassrede auf alle vier Arten des Engagements der deutschen Teilnehmer*innen aus, während bei den ungarischen Teilnehmern keine Vorhersage für das Liken und Teilen getroffen werden konnte. Unterschiede in politischer Ideologie und Religiosität beeinflussen die Einstellungen gegenüber geschlechterfeindlichen Inhalten in beiden Ländern. Rechtsgerichtete Personen und solche mit rechtspopulistischen Wahlabsichten zeigen eine erhöhte Bereitschaft, solche Beiträge zu liken oder zu teilen.

In Deutschland ist geschlechterfeindliche Hassrede eher akzeptiert, wenn sie umstrittene Themen betrifft, während Homophobie mehrheitlich abgelehnt wird. In Ungarn hingegen gibt es eine höhere Akzeptanz für homophobe Beiträge, welche auch eher mit der Haltung der aktuellen Regierung übereinstimmt.

Das Ziel dieser Studie war es, herauszufinden, wie sich Nutzer*innen mit geschlechterfeindlichen Inhalten in sozialen Medien auseinandersetzen. Die Ergebnisse verdeutlichen, so die Studienleiterin Claudia Wilhelm, "dass in Ungarn eine Tendenz zur Normalisierung solcher Hassreden besteht, während sich in Deutschland u.a. durch die AfD ein Anti-Gender-Diskurs etabliert hat."

Publikationsdetails

Wilhelm, C., & Schulz-Tomančok, A. (2023). Predicting user engagement with anti-gender, homophobic and sexist social media posts – a choice-based conjoint study in Hungary and Germany. Information, Communication & Society. Advance online publication. doi:10.1080/1369118X.2023.2275012

Claudia Wilhelm ist Tenure Track-Professorin für Medien und Intersektionalität am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.