Forschungsprojekte am Institut: Vom Kern zur Peripherie: Grenzen des Journalismus

24.01.2024

Seit September 2022 leitet Folker Hanusch das vom FWF geförderte Projekt "Vom Kern zur Peripherie", in dem Entgrenzungsphänome im Journalismus im Fokus stehen.

von Annika Arndt (✉ annika.arndt@univie.ac.at)

Kontakt für inhaltliche, wissenschaftliche Rückfragen: Phoebe Maares


Der Journalismus und seine Peripherie: Entgrenzungsphänomene, Perspektiven und Nutzerwahrnehmungen im Fokus

Heutzutage kann sich jede*r Journalist*in nennen, und dennoch gibt es Vorstellungen darüber, die von Journalist*innen selbst, Lehrinstitutionen wie der Universität oder von Medien geprägt sind, wie Phoebe Maares, Postdoc am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, erläutert. Ein Team rund um die Kommunikationsforscher*innen Folker Hanusch, Daniel Nölleke, Phoebe Maares und Kim Löhmann beschäftigt sich in einem aktuellen, qualitativen Forschungsprojekt, das vom FWF gefördert wird, mit den Entgrenzungsphänomenen im Journalismus.

"In der heutigen Zeit gibt es immer mehr Informationsangebote, die manchmal wie Journalismus aussehen. Dementsprechend wird es immer schwieriger zu sagen, wer eigentlich Journalist*in ist und was Journalismus ausmacht – und wir wissen auch nicht, wie traditionelle Journalist*innen die Relevanz dieser neuen Akteur*innen bewerten", erklärt Phoebe Maares das zugrundeliegende Forschungsinteresse des Projekts. Das Projektteam verfolgt daran angelehnt mehrere Ziele: Zum einen wollen die Forscher*innen im Rahmen von Interviews mit sowohl traditionellen als auch neuen Akteur*innen verstehen, wie Journalismus aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen wird. Zum anderen soll das Verständnis der Nutzer*innen von Journalismus erfasst werden, um ein umfassendes Bild von der Auffassung traditioneller und Journalismus-ähnlicher Inhalte, geprägt durch Digitalisierung, Social Media und periphere Akteur*innen, zu erhalten. In diesem Kontext beschäftigt sich das Team mit den vier Bereichen Politik, Wirtschaft, Lifestyle und Sport. Abschließend soll im Idealfall "ein besseres Verständnis dieser Aspekte eine wichtige Grundlage für öffentliche und politische Diskussionen darüber sein, welche Art von Journalismus sich eine Gesellschaft wünscht, wie man Journalismus unterstützen und seine Qualität bemessen kann", so Maares.

Wenngleich das Projekt für den Zeitraum von 2022 bis 2025 angesetzt ist, konnten bereits einige Daten gesammelt werden, die erste Tendenzen erkennen lassen.

Entgrenzungsprozesse des Journalismus: Peripherer und klassischer Journalismus

Durch die fortschreitende Digitalisierung und neuartige Möglichkeiten, Informationen in vielfältiger Hinsicht zu verbreiten, übernehmen nicht mehr nur klassische Medienhäuser und traditionelle Journalist*innen Aufgaben und Arbeitsbereiche des Journalismus. Die Forscher*innen betonen, dass die Entgrenzung im Journalismus dadurch charakterisiert ist, dass immer mehr neue Formate journalistische Elemente (mit-)einbeziehen, auch wenn sie nicht im klassischen Stil des Journalismus – wie beispielsweise die Zeit im Bild als Nachrichtensendung oder Der Standard als Tageszeitung – publizieren. Insbesondere durch Social Media übernehmen Influencer*innen, Social Media-Profile von Unternehmen und auch Parteimedien viele Elemente des Journalismus durch die Bereitstellung von aufbereiteten Informationen und Angeboten.

Worüber wir noch kaum etwas wissen aber ist, "wie die neuen Anbieter*innen selbst ihr Verhältnis zum traditionellen Journalismus einschätzen; und vor allem wissen wir nicht, wie das Publikum über diese neuen Angebote denkt und zwischen ihnen und traditionellem Journalismus unterscheidet", wie Kim Löhmann im Detail erklärt. Entsprechend wird es für die*den einzelnen Nutzer*in wesentlich komplexer, zu entscheiden, welche Akteur*innen als Journalist*innen eingeschätzt werden und welche nicht. Diese alternativen und neuen Akteur*innen werden dem so genannten peripheren Journalismus zugeordnet. Die Forschenden beabsichtigen, den aktuellen Zustand des Journalismus zu erfassen, indem sie untersuchen, wie sich die angesprochenen peripheren Akteur*innen selbst sehen und von traditionellen Journalist*innen wahrgenommen werden. Wo genau die Grenzen innerhalb des Berufsfeldes gezogen werden, steht dabei im Zentrum der Untersuchung. 

Periphere und klassische Journalist*innen

Um einen Überblick über das Selbstverständnis von traditionellen und peripheren journalistischen Akteur*innen zu gewinnen, führen die Forscher*innen 100 Interviews mit jeweils 25 Akteur*innen aus den vordefinierten Bereichen Politik, Wirtschaft, Lifestyle und Sport durch. Damit soll ein breites Spektrum an journalistischer Betätigung abgebildet werden, um die unscharfen Grenzen innerhalb des Berufsfeldes aufzuzeigen. Die Interviews erstrecken sich über eine Vielzahl von Akteur*innen, worunter sich traditionelle Journalist*innen, etwa vom ORF oder Redakteur*innen aus Boulevardmedien, sowie periphere Akteur*innen neuer Formate befinden.

Im zweiten Teil der Studie untersucht das Forschungsteam die Einschätzungen und Erwartungen der Rezipient*innen bezüglich journalistischer Angebote durch 20 Fokusgruppen mit jeweils sechs bis acht Teilnehmer*innen. Die Fokusgruppen sollen dabei helfen, zu eruieren, wie die Teilnehmenden die Tätigkeit des Journalismus wahrnehmen, was für die Nutzer*innen Journalismus ausmacht und welche Formate für Nutzer*innen letztlich journalistisch sind.

Erste Daten: Einschätzungen und ein Ausblick

Die Forscher*innen sammeln derzeit Daten und haben bereits rund 75 der geplanten Interviews mit Journalist*innen und peripheren Akteur*innen durchgeführt. Aktuell arbeitet das Team an der Transkription und parallel dazu der Auswertung. Im Fokus steht die Analyse von spezifischen Grenzmarkern im Selbstverständnis der einzelnen Akteur*innen und wiederkehrende Muster in den Interviews. Überraschenderweise bezeichneten sich viele der bisher Befragten entlang der gesamten Bandbreite als Journalist*innen. Phoebe Maares konstatiert hierzu, dass dies auch jene Akteur*innen betrifft, die eher der journalistischen Peripherie zugeordnet werden können. So zeigte sich in den Interviews, dass Objektivität und Unabhängigkeit als entscheidende Kriterien gelten, um als Journalist*in (an)gesehen zu werden.

Zwischen den vier genannten und relevanten Themenbereichen gibt es nuancierte Unterschiede. In den Interviews arbeiten die Forscher*innen mit verschiedenen Beispielen aus der österreichischen Medienlandschaft, die sie den Interviewten als Stimuli für das Gespräch geben. Dadurch wollen sie erreichen, dass die Teilnehmer*innen nicht nur über sich, sondern auch über andere Akteur*innen reflektieren und sprechen, um so zu verstehen, welche Meinung die Akteur*innen voneinander haben. Interessanterweise zeigt sich bisher, dass das Feld sehr inklusiv ist, da traditionelle Journalist*innen viele neue Akteur*innen im Berufsfeld als Journalist*innen anerkennen. Wichtig – so scheint es in den bisherigen Befunden – ist die Abgrenzung zwischen "gutem" und "schlechtem" Journalismus.

Die Forscher*innen sind zeitlich gut im Plan, da die verbleibenden Interviews bereits terminiert sind und bis Ende Jänner 2024 abgeschlossen sein sollen, im Sommer sind bereits die Fokusgruppen geplant. Die ersten Auswertungen und Analysen sollen in absehbarer Zeit in Fachzeitschriften veröffentlicht werden, wobei das übergeordnete, langfristige Ziel die Publikation eines Buches mit den Projektergebnissen und die Organisation eines Symposiums zum Kern des Projektthemas ist.


Das Projektteam am Institut

Folker Hanusch ist seit 2016 Professor für Journalismus am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit vergleichendem Journalismus, Kultur des Journalismus, Lifestyle-Journalismus und indigenem Journalismus. Am Institut leitet er zudem das von ihm initiierte Journalism Studies Center.

Phoebe Maares ist seit 2022 Universitätsassistentin (Postdoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Von 2016-2020 war sie Universitätsassistentin (Praedoc) und Doktorandin am Institut, wobei ihre Dissertation (Abschluss: Juni 2022) mit dem Titel Investigating techno-economic influences on the journalistic field: Atypical journalistic work in Europe von Folker Hanusch betreut wurde. Inhaltlich beschäftigt sich Phoebe mit den Grenzen von Journalismus, atypischer Journalismus-Kultur sowie vergleichender Journalismus-Forschung.

Kim Dana Löhmann ist seit 2022 Universitätsassistentin (Praedoc) und Doktorandin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Sie hat den englischsprachigen Master in Communication Science an unserem Institut absolviert und war bereits vor ihrem derzeitigen Engagement im Team von Folker Hanusch seit 2021 als studentische Mitarbeiterin tätig. Ihre Forschungsinteressen gelten dem vergleichenden sowie nachhaltigen Journalismus und Lifestyle-Journalismus.

Vom Kern zur Peripherie: Grenzen des Journalismus

✓ Fördergeber: FWF

✓ PI: Folker Hanusch

✓ Mitarbeit: Phoebe Maares • Kim Löhmann

✓ Laufzeit: 2022-2025