von Alina Vianne Barr (✉ alina.vianne.barr@univie.ac.at)
Aggressive Kommunikationsweisen von Politiker*innen breiten sich in der politischen Sphäre weltweit zunehmend aus. Feindselige Sprache hat sich zu einem allgegenwärtigen Bestandteil der heutigen politischen Kommunikation entwickelt. Vor allem betroffen sind junge Menschen, da sie viel Zeit in sozialen Medien verbringen und somit häufig mit dieser Art von Kommunikation konfrontiert sind. Die Studie fokussiert sich auf die Altersgruppe der 16-26-Jährigen, um diese bislang wenig untersuchte Zielgruppe zu adressieren.
Negative Emotionen, politisches Misstrauen und Wahlbeteiligung werden häufig mit feindseliger politischer Kommunikation in Verbindung gebracht. Jedoch gibt es bislang nur wenige Erkenntnisse darüber, ob unhöfliche Äußerungen sich anders als intolerante Äußerungen auswirken. Die Studie unterscheidet daher zwischen diesen beiden Formen der Sprache. Unhöfliche Sprache nutzt hier einen unhöflichen oder respektlosen Umgangston, vulgäre Wörter, Beschimpfungen oder beleidigende Sprache, sieht allerdings von jeglicher Art der Diskriminierung ab. Intolerante Sprache hingegen verwendet diskriminierende Implikationen, indem sie Minderheiten und Mitglieder von Randgruppen als nicht würdig für grundlegende Menschenrechte darstellt.
Um zu überprüfen, ob diese theoretischen Unterschiede von allgemein feindseliger Sprache auch tatsächlich Auswirkungen haben, wurde folgendes Experiment in Großbritannien durchgeführt: Insgesamt 297 junge Briten im Alter von 16 bis 26 Jahren wurden auf drei verschiedene Versuchsgruppen aufgeteilt: Unhöfliche Politiker*innen-Sprache, intolerante Politiker*innen-Sprache, oder zivilisierte Politiker*innen-Sprache (als Kontrollgruppe). Genauer sahen die Teilnehmer*innen jeder Gruppe jeweils drei fiktive Tweets eines oder einer fiktiven Politiker*in, die in einen fiktiven Zeitungsartikel der Nachrichtenagentur BBC eingebettet wurden. Dieser Zeitungsartikel berichtete über die Meinungen von Politiker*innen zum aktuellen Thema Staatsverschuldung im Vereinigten Königreich. Der oder die Politiker*in beschuldigte entweder die Regierung (je nach Versuchsgruppe in unhöflicher bzw. höflicher Sprache) oder Migrant*innen (intolerante Sprache), für die Situation der Staatsverschuldung verantwortlich zu sein. Anschließend wurden die negativen Emotionen, das politische Misstrauen und Motivation zur politischen Partizipation der Teilnehmer*innen auf einer Zustimmungsskala von eins bis sieben abgefragt, wobei eins für "gar nicht", und sieben für "sehr" stand.
Die Ergebnisse der Studie zeigen unterschiedliche Auswirkungen von unhöflicher und intoleranter Sprache. Intolerante Online-Sprache führte, unabhängig vom Geschlecht des*der Politiker*in, zu stärkeren negativen Emotionen bei jungen Menschen als höfliche oder unhöfliche Sprache. Diese negativen Emotionen verstärkten wiederum sowohl das politische Misstrauen der Teilnehmer*innen als auch ihre Motivation zur politischen Partizipation. Generell könnte man also annehmen, dass intolerante, feindselige Online-Sprache nicht nur das Bild junger Menschen von Politiker*innen beeinflusst, sondern auch ihre Motivation, intolerante Politiker*innen daran zu hindern, politische Macht zu erlangen und auszuüben, indem sie sich mehr politisch engagieren. Das steht im Widerspruch dazu, wie häufig Feindseligkeiten strategisch von Politiker*innen genutzt werden. Gerade deshalb ist das Ergebnis dieser Studie als vielversprechend zu werten, denn es zeigt, dass Wähler*innen tatsächlich Konsequenzen ziehen wollen, wenn sie den Eindruck haben, dass Politiker*innen sich zu intolerant äußern.
Studienautorin Melanie Saumer meint dazu abschließend, dass „die Studie zeigt, wie sensibel politischer Kommunikation begegnet werden sollte, da 'je reißerischer, desto besser' offenbar nicht gilt. In Zeiten politischer Polarisierung ist es essentiell, auf Rhetorik zu achten und demokratische Prinzipien zu wahren. Sprachliche Unterschiede zwischen feindseligen Spracharten wie Unhöflichkeit und Intoleranz mögen klein erscheinen, wirken laut unserer Studie jedoch unterschiedlich auf Partizipation und Vertrauen. Wähler*innen signalisieren damit: Keine Toleranz der Intoleranz."
Zu den Autoren
Melanie Saumer ist seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Praedoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.
Kateryna Maikovska ist seit 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Praedoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.
Ariadne Neureiter ist seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc seit 2023) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.
Anastasia Čepelova und Hendrik van Scharrel haben am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien studiert.
Jörg Matthes ist Professor für Kommunikation und Werbeforschung sowie stellvertretender Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.