Die Komplexität der Nachrichtenvermeidung: Eine Untersuchung der Beziehung zwischen politischer und medialer Wahrnehmung und Nachrichtenvermeidung

26.03.2024

Nachrichten bilden einen essentiellen Bestandteil einer funktionierenden Demokratie, indem sie Bürger*innen bedeutende Informationen vermitteln, sie weiterbilden und ihnen einen entscheidenden Einblick in politische Vorgänge gewähren. Eine kürzlich an der Universität Wien entstandene Studie untersucht den Zusammenhang zwischen einer Reihe von politischen und medienbezogenen Wahrnehmungen und der absichtlichen Vermeidung von Nachrichten und dem Nachrichtenkonsum.


von Annika Arndt (✉ annika.arndt@univie.ac.at)

Menschen assoziieren Nachrichtenvermeidung häufig mit geringem politischem Wissen und geringer politischer Beteiligung. Die Nutzer*innen können die Vermeidung von Nachrichten sowohl als bewusste als auch als unbewusste Entscheidung verstehen, die von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird und unterschiedliche Konsequenzen mit sich bringt. Diese verschiedenen Dimensionen und Faktoren, die zu diesen Arten der Vermeidung beitragen, wurden in der bisherigen Forschung übersehen. Eine im Juni und Juli 2021 durchgeführte Online-Umfrage mit 1007 Teilnehmer*innen in Österreich versuchte, diese Forschungslücke zu schließen. Das Ziel bestand darin, verschiedene Arten von Nachrichtenvermeider*innen zu identifizieren und einen Zusammenhang zwischen der Intentionalität und dem Nachrichtenkonsum herzustellen.

Die Mehrheit der Personen, die aktiv Nachrichten vermeidet, zeigt, dass diese Vermeidung nicht zwangsläufig mit einem geringem Nachrichtenkonsum einhergeht, sondern oft als eine Nebenwirkung der Nachrichtennutzung gesehen werden kann. Sowohl die geringe wahrgenommene staatsbürgerliche Pflicht zur Information als auch das niedrige politische Interesse tragen zu beiden Vermeidungstypen bei. Es gibt jedoch eindeutige Unterschiede in den Prädiktoren: Während hohe absichtliche Nachrichtenvermeidung auf Unzufriedenheit mit der Negativität der Nachrichten zurückzuführen ist, steht geringer Nachrichtenkonsum mit einem generellen Mangel an Vertrauen in Medien und Politik in Verbindung.


Nachrichten sind ein Kernelement einer funktionierenden Demokratie. Sie versorgen Bürger*innen mit Informationen, offerieren einen Ort für öffentliche Debatten und positionieren sich als politische "Aufpasser". Wenngleich Nachrichten, Informiertheit und Informationen für alle Bürger*innen für die politische Partizipation essentiell sind, kann ein Trend beobachtet werden – die Vermeidung von Nachrichten. Dieses Phänomen weckt auch das Interesse der Forschung, da häufig eine Assoziation zwischen der Vermeidung (von Nachrichten) und einem geringerem politischen Wissen sowie einer geringeren politischen Partizipation angenommen wird, verbunden mit einem größeren Irrglauben über politische Vorgänge. Aufgrund der Relevanz haben bereits mehrere Studien die Thematik untersucht, konnten jedoch keine klaren Ergebnisse zeigen, da das Vermeidungsverhalten unterschiedlich definiert wurde. Um diese Forschungslücke zu schließen und verschiedene Arten der Nachrichtenvermeidung und ihrer Prädiktoren zu vergleichen, untersuchten die Kommunikationswissenschaftler*innen Dominika Betakova, Hajo Boomgaarden, Sophie Lecheler und Svenja Schäfer an der Universität Wien die verschiedenen Arten und Indikatoren. Das Ziel der Querschnittsstudie war es einerseits, die Beziehung zwischen absichtlicher Nachrichtenvermeidung und geringem Nachrichtenkonsum zu untersuchen. Andererseits soll(t)en Faktoren gefunden werden, die beide Dimensionen prägen. Zusätzlich war es das Ziel, spezifische Typen von Nachrichtenvermeider*innen zu definieren.

Nachrichtenvermeidung und Nachrichtennutzung: Von Intention und Umfang

Die Forscher*innen haben auf Basis von früheren Studien und Theorien zwei Typen von Nachrichtenvermeidung definiert. Zum einen existiert die absichtliche Nachrichtenvermeidung, die durch spezifische Motivation angetrieben wird. Diese Form wird als bewusste Entscheidung verstanden, um etwa unangenehme Gefühle hinsichtlich des Nachrichtenkonsums zu vermeiden. Zum anderen gibt es den Typus Nachrichtenvermeider*in, die*der Nachrichten nur im geringen Ausmaß konsumiert. Diese geringe bis nicht vorhandene Nachrichtennutzung kann sowohl absichtlich als auch unbeabsichtigt erfolgen.

Zentral ist hierbei, wer als Nachrichtenvermeider*in der einen oder anderen Art identifiziert werden kann. Es lässt sich feststellen, dass es für die skizzierte Typologie der Nachrichtenvermeidung wichtig ist, die (bewusste) Intention und den Umfang der Vermeidung zu berücksichtigen und in der Forschung zu beachten, da die Entflechtung der Kombination von Absicht und des Umfangs der Nachrichtennutzung entscheidend ist, um spezifische Arten von Nachrichtenvermeidung zu verstehen.

Im Rahmen der Studie wurden sowohl absichtliche Nachrichtenvermeidung als auch geringe Nachrichtennutzung gleichzeitig erforscht. In diesem Kontext wurden Vorhersagen identifiziert, um zu erklären, wer in diese beiden Dimensionen fällt. Um dies systematisch untersuchen zu können, wurden vier Gruppen von Nachrichten-(Nicht)-Nutzer*innen erstellt.

  1. Absichtliche Vermeider*innen, die wenig bis keine Nachrichten konsumieren,
  2. Personen mit hoher Nachrichtenvermeidung, aber durchschnittlicher oder hoher Nachrichtennutzung,
  3. Personen mit durchschnittlicher oder geringer absichtlicher Nachrichtenvermeidung und geringer Nachrichtennutzung,
  4. sowie Personen mit durchschnittlicher oder geringer absichtlicher Nachrichtenvermeidung und durchschnittlicher oder hoher Nachrichtennutzung.

Die Methode: Eine Online-Umfrage in Österreich

Für die Befragung wurden Menschen im Alter ab 18 Jahren befragt, die in Österreich leben. Da die Umfrage im Juni und Juli 2021 durchgeführt wurde, dominierten Schlagzeilen zu COVID-19, der Fußball-Europameisterschaft sowie das Thema Einwanderung die Medien. Die Teilnehmer*innen wurden zur bewussten Vermeidung von Nachrichten gefragt. Ebenso erfasste der Fragebogen die Daten zum Medienkonsum direkt, indem er die Nutzung auf verschiedenen Plattformen thematisierte. Zusätzlich erkundigten sich die Forscher*innen nach dem Medienvertrauen und der politischen Wahrnehmung, indem man das politische Interesse, Vertrauen, Wirksamkeit und die Pflicht, informiert zu bleiben, abfragte.

Die vier Gruppen der Nachrichtenvermeider*innen und -Nutzer*innen

Die Ergebnisse der Studie identifizierten im Wesentlichen vier Gruppen von Menschen von Nachrichtenvermeider*innen und Nachrichtennutzer*innen:

Die erste Gruppe ist zahlenmäßig eher klein, vermeidet Nachrichten absichtlich und weist insgesamt einen geringen Nachrichtenkonsum auf. In diesem Kontext neigen eher Frauen mit geringerem politischem Interesse, weniger politischem Vertrauen und einem schwächeren bürgerlichen Pflichtgefühl, sich informiert zu halten, dazu, absichtlich geringe Nachrichtenkonsument*innen zu sein. Die Mehrheit der Menschen, die nur wenig oder gar keine Nachrichten konsumiert, tut dies nicht absichtlich, was frühere Erkenntnisse bestätigt.

Die zweite Gruppe mit geringer Nachrichtennutzung ohne bewusste Vermeidung zeichnet sich durch niedrigere Einkommen, geringe politische Beteiligung und überraschenderweise geringere wahrgenommene Negativität aus. Auch ist das Vertrauen in Politik und Medien geschwächt. Möglicherweise sind strukturelle oder gewohnheitsmäßige Faktoren dafür verantwortlich. Eine geringe, aber signifikante, negative Verbindung besteht zwischen absichtlicher Nachrichtenvermeidung und der tatsächlichen Nachrichtennutzung.

"Bei der Untersuchung von Vorhersagefaktoren für hohe absichtliche Nachrichtenvermeidung und geringen Nachrichtenkonsum teilen beide Arten der Nachrichtenvermeidung gemeinsame Faktoren wie eine geringere Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Pflicht, informiert zu bleiben, und ein geringeres politisches Interesse", wie Studienautorin Dominika Betakova erläutert.

Gruppe 3 zeichnet sich durch eine durchschnittliche bis hohe Nachrichtennutzung trotz hoher absichtlicher Nachrichtenvermeidung aus. Die Gruppe besteht aus (absichtlich) hohen Nachrichtenvermeider*innen, die trotzdem eine durchschnittliche oder hohe Nachrichtennutzung aufrechterhalten. Dies deutet darauf hin, dass absichtliche Nachrichtenvermeidung manchmal ein Nebenprodukt einer höheren Nachrichtennutzung sein kann. Zusätzlich stellt Dominika Betakova fest, dass "… diese Gruppe tendenziell jünger ist, die Nachrichten als negativ wahrnimmt und berichtet, dass sie manchmal körperliche Reaktionen auf Nachrichten zeigen, wie etwa Einschlafprobleme."

Die vierte und letzte Gruppe sind Medienkonsument*innen, die die Nachrichten nicht meiden. Sie machen den größten Teil der Stichprobe aus. Diese Personen haben ein höheres politisches Interesse, ein hohes Einkommen und laut den Forscher*innen "ein stärkeres Gefühl der staatsbürgerlichen Pflicht, informiert zu bleiben".

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bewusste Vermeidung von Nachrichten und der geringe Nachrichtenkonsum unterschiedliche Strategien erfordern. Der absichtlichen Nachrichtenvermeidung könnte durch die Förderung eines lösungsorientierten, konstruktiven Journalismus entgegengewirkt werden, der Positivität betont. Andererseits sollten sich Initiativen, die dem geringen Nachrichtenkonsum entgegenwirken, darauf konzentrieren, das Vertrauen in den Journalismus zu stärken, zum Beispiel durch die Förderung von Inklusivität.

Darüber hinaus könnte die Förderung der Medienkompetenz, insbesondere durch frühzeitige Interventionen in Schulen, eine wirksame Strategie sein, um dem geringen Nachrichtenkonsum entgegenzuwirken. Dennoch könnte eine kurzfristige bewusste Vermeidung bestimmter Themen für Menschen, die viele Nachrichten konsumieren, hilfreich sein, da sie das menschliche Bedürfnis haben, eine Pause von emotional belastenden Themen einzulegen.

Publikationsdetails

Betakova, D., Boomgaarden, H., Lecheler, S., & Schäfer, S. (2024). I do not (want to) know! The relationship between intentional news avoidance and low news consumption. Mass Communication and Society. Advance online publication. doi:10.1080/15205436.2024.2304759

Dominika Betakova ist seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Praedoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni-versität Wien.

 

Hajo Boomgaarden ist Professor für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien.

Svenja Schäfer ist seit März 2024 Assistant Professor in der Strategic Communication Group an der Wageningen University & Research (Niederlande).

 

Sophie Lecheler ist Professorin für Kommunikationswissenschaft mit Fokus auf politischer Kommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissen-schaft der Universität Wien.