Die Einbindung religiöser Symbole im Rechtspopulismus: Eine Untersuchung der Facebook-Debatte rund um Matteo Salvinis Wahlkampfkommunikation

31.10.2022

Die öffentliche Kommunikation von Matteo Salvini, dem rechtspopulistischen Parteivorsitzenden der italienischen Partei Lega, sorgte für große Aufmerksamkeit unter Facebook-Nutzer*innen. Marchetti und Kolleg*innen zeigen in ihrer Studie, welche Resonanz und Online-Diskussionen seine plakative Darstellung christlicher Symbole erzeugten.

von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)

Von Donald Trump in den USA bis hin zur FPÖ in Österreich – der westliche Rechtspopulismus ist u.a. durch eine auffällige Zurschaustellung religiöser Symbole gekennzeichnet. Welchen Einfluss solche Inszenierungen auf öffentliche Debatten haben, untersuchten Forscher*innen der Universitäten Wien und Perugia. Die Studie konzentriert sich auf die Facebook-Debatte rund um die Wahlkampfkommunikation Matteo Salvinis, dem Parteivorsitzenden der rechten Partei Lega in Italien. Für die Analyse wurden Facebook-Posts herangezogen, die Salvini und mindestens ein religiöses Schlüsselwort erwähnten und im Zeitraum der Parlaments- und Europawahlen 2018 und 2019 publiziert wurden. Daraus ergab sich ein Pool aus ca. 2.200 Facebook-Posts, die mithilfe eines Mix aus quantitativen und qualitativen Methoden analysiert wurden.


Am 24. Februar 2018 wurde die traditionelle Kundgebung der Lega in Mailand veranstaltet, in deren Rahmen der Parteivorsitzende Matteo Salvini mit dem Evangelium in der einen und der Verfassung in der anderen Hand dem Publikum schwor: "Euch mit Ehrlichkeit und Mut zu dienen und die italienische Verfassung anzuwenden, indem ich die Lehren dieses heiligen Evangeliums respektiere. Schwört ihr mit mir? Ich schwöre es." Am 18. Mai 2019 predigte er öffentlich in ähnlicher Weise mit Rosenkranz in der Hand. Jene Auftritte erfolgten parallel zu den Parlamentswahlen (2018) und Europawahlen (2019) Italiens. Diese ausdrucksstarke Bezugnahme religiöser Symbole ist in Italien beispiellos und wurde von der katholischen Kirche scharf kritisiert.

Kommunikationswissenschaftler und Ko-Studienautor Nicola Righetti von der Universität Wien beobachtet gemeinsam mit seinen Kolleg*innen von der Universität Perugia das aktuelle Phänomen, "in dem viele rechtspopulistische Akteur*innen religiöse Symbole und Referenzen frei zur Schau stellen". Dabei ist es besonders wichtig, den Effekt einer solchen kommunikativen Darstellung auf den öffentlichen Diskurs nachzuvollziehen. In ihrer Studie widmeten sich die Forscher*innen den Auswirkungen der populistischen Kommunikation Salvinis – konkret seiner Inszenierungen der christlichen Religion – auf die Öffentlichkeit.

Populismus kurz erklärt

Der "Populismus" ist als Schlagwort nicht mehr aus aktuellen politischen Debatten wegzudenken. Es handelt sich um eine Rhetorikform, die sich durch drei kommunikative Merkmale erkennbar macht: (1) die Interessensvertretung des Volkes (das Volk wird von Populist*innen als homogene Gruppe dargestellt), (2) der Angriff auf die Elite, und (3) die verbale Abgrenzung zu den „Anderen“ (spezifische Bevölkerungsgruppen wie beispielweise Flüchtlinge oder Muslime).

In westlichen Ländern verbreitet sich zunehmend die Tendenz der Instrumentalisierung und Mediatisierung von religiösen Symbolen durch rechtspopulistische Parteien. In Hinblick darauf haben die Forscher*innen den Aspekt der Religion auf die drei Säulen der populistischen Kommunikation bezogen: Populist*innen betrachten Religion (1) als Identitätsstifter (homogenes Wertesystem), (2) in Opposition zu vielen Interpretationen und Handlungen der etablierten Kirchen (Anti-Elitarismus), und (3) in Opposition zum Islam (die "Anderen").

Die Datenanalyse umfasste mehr als 2.000 Facebook-Posts

Wie gingen die Forschenden nun vor, um die Reaktion der Öffentlichkeit auf Matteo Salvinis Auftritte einzufangen und zu analysieren? Sie konzentrierten sich auf das soziale Medium Facebook, da es sich dabei um die meistgenutzte soziale Plattform in Italien handelt und Salvini diese sehr aktiv nützt. Mithilfe eines Datenanalyseprogramms wurden 2.196 Facebook-Posts erfasst, die Salvini und mindestens ein religionsbezogenes Schlüsselwort erwähnten sowie in der jeweiligen Woche der Parlamentswahlen (2018) und Europawahlen (2019) publiziert wurden. Die Forschung sollte zwei übergreifende Fragen beantworten: zum einen wurde der Frage nachgegangen, wie hoch das Engagement bzw. die Resonanz bei den religionsbezogenen Facebook-Beiträgen, in denen Salvini erwähnt wurde, war; zum anderen wurde untersucht, welche thematischen Aspekte die Beiträge mit religionsbezogenen Schlüsselworten behandelten.

Matteo Salvinis Auftritte sorgten für hohe Aufmerksamkeit unter Facebook-Nutzer*innen

Seine religiös geprägten Auftritte blieben auf keinen Fall unbemerkt: aus allen Facebook-Posts, die den Lega-Vorsitzenden grundsätzlich thematisierten, befassten sich 25% mit seiner religiösen Wahlkampfkommunikation und evozierten bis zu 30% des Engagements. Die Anzahl der Beiträge sowie die Höhe der Engagement-Rate variierte im Laufe des Untersuchungszeitraums, mit einem Höhepunkt etwa eine Woche vor den Wahlen und insbesondere in den Tagen während und unmittelbar nach den Wahlkundgebungen, als Salvini die Menge mit einem Rosenkranz in der Hand ansprach. Die Forscher*innen begründen die hohe digitale Aufmerksamkeit damit, dass die populistische Rhetorik der Kommunikationslogik von sozialen Medien ähnelt, wodurch sich populistische Botschaften effizient verbreiten lassen. Außerdem begünstige der beispiellose und provokative Charakter seiner Auftritte die Aufmerksamkeit der italienischen Öffentlichkeit, die eine solche Inszenierung religiöser Symbole im Rahmen politischer Kommunikation nicht gewohnt ist.

Abseits der hohen generierten Aufmerksamkeit interessierten sich die Forscher*innen für den Tenor der Facebook-Diskussionen, indem sie die Facebook-Posts in Kategorien einteilten, um somit Kernthemen herauszuarbeiten. Insgesamt wurden acht Kernthemen unter den Posts identifiziert, wobei zwei Strömungen die Debatte dominierten: einerseits die Verteidigung der Verwendung religiöser Symbole im politischen Kontext, andererseits die Kritik an der Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke. In Italien, so argumentieren einige, sei die Präsenz religiöser Institutionen im öffentlichen Raum rechtmäßig – wie bspw. die Ausstellung des Kreuzes in öffentlichen Gebäuden; den katholischen Religionsunterricht in staatlichen Schulen; usw. – daher sei eine Einmischung der Religion in gesellschaftspolitischen  Debatten auch vertretbar. Andere kritisierten Salvini, kein wahrer Christ zu sein, nachdem seine politische Positionierung (bspw. seine Anti-Migrationspolitik) nicht mit den Lehren des Christentums vereinbar sei. Wiederrum andere Posts nahmen Salvinis Handlungen als Vorwand für rassistische Formulierungen gegen Muslime (die "Anderen") und warnten vor der "bevorstehenden Islamisierung Europas"; deswegen applaudierten sie aufgrund der Präsenz christlicher Werte. Als Angriff auf die Elite wurde Papst Franziskus verurteilt, er würde den "Anderen" näherstehen als den Katholiken selbst. Schließlich gab es auch Posts, die verspottend bzw. satirisch auf Salvinis Kommunikation anspielten.

Das Forschungsteam resümiert seine Studie mit folgendem Schlusswort: "Die Untersuchung zeigt, dass sich der Diskurs zu Religion perfekt in eine breitere populistische Strategie der Identitätsbeschaffung einfügt, die sich auf die typischen Säulen populistischer Rhetorik stützt. Deutlich wird dies etwa bei der Betonung des Gegensatzes zwischen uns und den 'Anderen', bei denen es sich typischerweise um diejenigen handelt, die einem anderen kulturellen oder religiösen Universum angehören, sowie einen konsequenten Angriff auf die herrschenden Eliten, wie etwa die katholische Kirche. Unsere Studie zeigt auch, wie in der für Online-Milieus typischen Logik der Polarisierung die durch die Instrumentalisierung religiöser Symbole ausgelöste Diskussion stark in zwei entgegengesetzte Fronten polarisiert: nämlich 'für und gegen' die Verwendung religiöser Symbole und 'für und gegen' den Vorsitzenden der Lega selbst, der auch beschuldigt wird, ein 'unechter' Christ zu sein. Letztendlich hat unsere Analyse die Relevanz der Religion im öffentlichen Raum erneut bestärkt und auch die empirische Verbindung zwischen Christentum und nationaler Identität bestätigt, die insbesondere durch die Verbreitung politischer Kommunikation durch soziale Medien begünstigt wird."

Publikationsdetails

Marchetti, R., Righetti, N., Pagiotti, S., & Stanziano, A. (2022). Right-wing populism and political instrumentalization of religion: The Italian debate on Matteo Salvini's use of religious symbols on Facebook. Journal of Religion in Europe. Advance online publication. doi:10.1163/18748929-bja10052 (Image © Mikhail Nilov)

Nicola Righetti ist Universitätsassistent (Postdoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. (Image © Nicola Righetti)