Berichterstattung über Terror: Wie stark wird islamistischer Terror mit allen Muslimen in Verbindung gebracht?

30.11.2020

Neue Studie untersucht Zeitungsartikel aus dem deutschsprachigen Raum

von Michaela Forrai (✉ michaela.forrai@univie.ac.at)

In den vergangenen Jahren erhielten terroristische Attentate von Personen, die sich dem Islam zugehörig fühlen, ein besonders hohes Maß an medialer Aufmerksamkeit. Aber nicht nur das Ausmaß der Berichterstattung ist zentral für die gesellschaftliche Diskussion, sondern auch die Frage, wie berichtet wird. Entscheidend ist dabei, wie stark der Terror mit dem Islam im allgemeinen bzw. der Gemeinschaft aller Muslime in Verbindung gebracht wird. Differenzierte Berichterstattung trennt Angehörige des islamischen Glaubens deutlich von radikalem islamistischem Terrorismus, in undifferenzierter Berichterstattung wird jedoch beides gleichgesetzt. Ein Team um Jörg Matthes analysierte über 1000 Artikel aus zwölf Zeitungen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz und widmete sich der Frage, welche Artikelcharakteristiken häufig in Zusammenhang mit undifferenzierter oder differenzierter Berichterstattung stehen.

Überraschenderweise ergab die Untersuchung, dass sich das Maß an undifferenzierter sowie differenzierter Berichterstattung in Qualitäts- und Boulevardzeitungen nicht signifikant unterscheidet. Je größer die räumliche Nähe zum Land und je tödlicher der Anschlag, desto weniger wurde zwischen Terroristen und Muslimen im allgemeinen differenziert. Weiters spielt es eine zentrale Rolle, wer zu Wort kommt: Kommen Muslime und Muslimas zu Wort, wird der Islam seltener mit Terrorismus gleichgesetzt, es wird also stärker differenziert im Vergleich zu Akteuren, die nicht dem Islam zuzuordnen sind. Jörg Matthes, der Studienleiter, zieht folgende Schlussfolgerung: "Die Studie zeigt, dass es ganz zentral ist, welche Quellen von den Journalisten und Journalistinnen in der Berichterstattung über Terrorismus ausgewählt werden. Muslimas und Muslime haben hier eine wichtige Perspektive, wenn sie sich und den Islam klar vom Terrorismus abgrenzen."


Publikationsdetails

Matthes, J., Kaskeleviciute, R., Schmuck, D., von Sikorski, C., Klobasa, C., Knupfer, H., & Saumer, M. (2020). Who differentiates between Muslims and Islamist terrorists in terrorism news coverage? An actor-based approach. Journalism Studies, 21(15), 2135-2153. DOI:10.1080/1461670X.2020.1812422

Details zur Studie: Insgesamt wurden 1071 Artikel aus dem Zeitraum von 2015 bis 2017 untersucht, die primär Muslime und Muslimas oder Terrorismus thematisierten. In 635 davon fanden sich entweder undifferenzierte oder differenzierte Aussagen, sodass in weiterer Folge ermittelt werden konnte, wer diese getätigt hatte, ob darin ein naher Terroranschlag erwähnt wurde sowie ob Tote und/oder Verletzte erwähnt wurden. (Fotocredit © Ekaterina Bolovtsova)

Jörg Matthes ist Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Werbeforschung, Leiter der Abteilung Advertising and Media Effects (AdME) und Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Wirkung unterschiedlicher Werbeformen, der Prozess öffentlicher Meinungsbildung, Nachrichtenframing und empirische Methoden.

Ruta Kaskeleviciute ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Abteilung Advertising and Media Effects (AdME) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ihre Dissertation konzentriert sich auf die Berichterstattung über Terrorismus und ihre Wirkung. Weitere Forschungsinteressen sind Medienpsychologie, Politische Kommunikation und empirische Methoden.

Desirée Schmuck ist Assistenzprofessorin (Tenure Track) für Digital Media Effects an der School for Mass Communication Research der KU Leuven. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Wirkung digitaler politischer Kommunikation, die Effekte von Stereotypen und Vorurteilen im Netz sowie die Auswirkungen der Nutzung digitaler Medien auf das Wohlbefinden von Jugendlichen und Erwachsenen.

Christian von Sikorski ist Assistenzprofessor (Tenure Track) für Politische Psychologie und Leiter des Political Psychology & Communication Lab (PPC) am Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik der Universität Koblenz-Landau. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Psychologie und Politische Kommunikation mit einem Fokus auf politische Skandale sowie die Berichterstattung über Terrorismus und ihre Wirkung (z.B. auf Intergruppenbeziehungen und politische Einstellungen).

Claudia Klobasa schloss ihr Magisterstudium am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019 erfolgreich ab. Während des Studiums war sie als Fachtutorin tätig und koordinierte das Buddy-Projekt. Ihre Forschungsinteressen sind vor allem im Bereich der Medien- und Werbewirkungsforschung und der politischen Kommunikationsforschung angesiedelt.

Helena Knupfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Abteilung Advertising and Media Effects (AdME) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ihre Forschungsinteressen sind die Berichterstattung über (rechtsextremen) Terrorismus und Lebensmittelplatzierungen in Kinderfilmen und -serien.

Melanie Saumer arbeitet als Studienassistentin von Univ.-Prof. Dr. Jörg Matthes am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ihre Forschungsinteressen sind Medienpsychologie im Kontext von Körperwahrnehmung, Auswirkungen von journalistischer Berichterstattung auf victim blaming, und Politische Kommunikation mit Fokus auf Regierungskommunikation und Inhaltsanalysen.