Corona-Berichterstattung: Wie die Nachrichtenselektion unsere Haltung zu COVID-19 Themen beeinflussen kann

10.10.2022

Menschen zeigen eine Tendenz, Nachrichten auszuwählen, die mit ihren eigenen Haltungen übereinstimmen. Die vorliegende Studie zeigt am Beispiel der vieldiskutierten COVID-19 Pandemie, dass eine solche selektive Mediennutzung zur Verhärtung eigener Ansichten führen kann.

von Adriana Sofia Palloks (✉ adriana.palloks@univie.ac.at)

Die COVID-19 Pandemie kann im Kontext der Nachrichtenberichterstattung aus unterschiedlichen Winkeln beleuchtet werden. Wenn Journalist*innen einen Beitrag konzipieren, wählen sie gewisse Aspekte aus, betonen manche, während sie andere ausklammern. Dieses Vorgehen kann Nachrichtenkonsument*innen eine spezifische, möglicherweise eingeschränkte Perspektive der Thematik vermitteln und wird in der Kommunikationswissenschaft als "Framing-Effekt" bezeichnet. Die in der Presse bereits mehrfach zitierte Studie von Kommunikationswissenschaftler*innen der Universität Wien untersuchte diesbezüglich den Einfluss von Nachrichtenauswahl und -konsum auf COVID-19-bezogene Überzeugungen. Die Studie wurde in mehreren Stufen durchgeführt: Begonnen wurde mit einer Inhaltsanalyse zur Identifikation von COVID-19 "Frames" (d.h. Rahmungen des Themas bzw. spezifische Perspektiven auf COVID-19) in der Kommentarsendung "Der Wegscheider" von ServusTV und Günther Mayrs Analysen im ORF; folgend wurden in einer Online-Umfrage 1.176 Studienteilnehmer*innen zu den jeweiligen Sendungen (Nutzungshäufigkeit) und zu Corona-Ansichten befragt. Zuletzt wurde im Rahmen eines web-basierten Experiments mit ca. 800 Teilnehmer*innen untersucht, ob der Mechanismus der "präferenzenbasierten Verstärkung" dem Framing-Effekt zugrunde lag. Die Ergebnisse legen dies nahe: Bereits bestehende Ansichten und Präferenzen bezüglich COVID-19 sagten die Nachrichtenselektion voraus (d.h., Zuwendung zu Servus TV oder ORF) und die selbst gewählte Zuwendung zu diesen Inhalten änderte wiederum die Ansichten und Präferenzen bezüglich COVID-19 im Sinne eines Verstärker-Effektes.


Gesundheitliche Folgen, Regierungsmaßnahmen, wirtschaftliche Engpässe, etc. Die COVID-19 Pandemie kann aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Verfassen Journalist*innen einen Beitrag, wählen sie gewisse Aspekte eines Themas aus, welche sie in den Fokus ihrer Nachricht stellen, andere Aspekte werden ausgeklammert. Solche Selektionsentscheidungen sind unvermeidlich. Die Betonung einer gewissen Perspektive kann Rezipient*innen eine gewisse Perspektive auf das jeweilige Thema nahelegen. Sie können sich im Zuge ihrer Meinungsbildung möglicherweise mehrheitlich auf diese hervorgehobenen Aspekte beziehen. Dieses Effekt-Phänomen wird in der Kommunikationswissenschaft als "Framing-Effekt" bezeichnet und bildet den Fokus der vorliegenden Studie.

Florian Arendt, Michaela Forrai und Manina Mestas von der Universität Wien untersuchten gemeinsam den Framing-Effekt im Kontext der COVID-19 bezogenen Berichterstattung. In ihrem Paper untersuchen die Forscher*innen die vielfach nachgewiesene Tendenz, dass Menschen ihre Medienselektion vermehrt auf Inhalte konzentrieren, die ihren eigenen Ansichten entsprechen. Dies birgt die Gefahr, dass vorhandene Ansichten durch selektiven Medienkonsum verstärkt werden können.

Das Forschungsprojekt inkludierte drei Teilstudien mit unterschiedlichen methodischen Zugängen. Zunächst erfolgte eine Inhaltsanalyse der österreichischen Nachrichten-Kommentarsendung "Der Wegscheider" von ServusTV, dem vorgeworfen wurde, verharmlosend über das Coronavirus berichtet und die pandemischen Regierungsmaßnahmen als übertrieben dargestellt zu haben. Zusätzlich wurden Günther Mayrs Analysen vom ORF, der von Kritiker*innen als Alarmist bezeichnet wurde, untersucht. Diese wurden als prototypische Beispiele in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt und auf deren Framing der COVID-19 Pandemie analysiert. In einer anschließenden Online-Umfrage mit rund 1.200 Teilnehmer*innen wurden jene zu ihrer Nutzungshäufigkeit der Sendungen und ihren COVID-19 Ansichten befragt. Letztlich wurde in einem web-basierten Experiment mit knapp 800 Teilnehmer*innen überprüft, ob ein präferenzenbasierter Verstärker-Effekt als zugrunde liegender Mechanismus den Framing-Effekt erklären kann.

Je öfter meinungskonsistente Inhalte rezipiert wurden, desto wahrscheinlicher der Framing-Effekt

Die Auftritte von Ferdinand Wegscheider (ServusTV) und Günther Mayr (ORF) wurden im Laufe von fünf Wochen im Herbst 2020 in Augenschein genommen. Die beiden Journalisten unterschieden sich markant in Bezug auf ihr Framing der Corona-Thematik. Während Wegscheider die Risiken von COVID-19 relativ betrachtet tendenziell bagatellisierte, wurden diese von Seiten Mayrs als groß dargestellt. Die Umfrage zum Rezeptionsverhalten der Befragten hinsichtlich der beiden Sendungen wies darauf hin, dass die Häufigkeit der Exposition eine Rolle beim Framing spielte. Je öfter Personen die Beiträge von Günther Mayr sahen, desto höher zeigte sich deren Wahrnehmung zum Ernst der Pandemie, ihre Unterstützung gegenüber Regierungsmaßnahmen sowie die Einhaltung der Corona-Vorschriften. Die Befragten, die vorrangig die Sendung "Der Wegscheider" rezipierten, zeigten Tendenzen in die entgegengesetzte Richtung. Die korrelativen Befunde der Querschnitt-Befragungsstudie können jedoch nicht mit einer hohen Sicherheit kausal interpretiert werden. Daher wurde eine dritte Studie durchgeführt.

Selektive Zuwendung macht den Unterschied

In einem digitalen Experiment wurde schließlich überprüft, ob die Art der Selektion es vermag, Framing-Effekte zu verstärken. Die Befunde zeigten, dass vorhandene COVID-19-Ansichten, Einstellungen und Verhaltensweisen die Medienauswahl der Teilnehmer*innen in Richtung übereinstimmender Inhalte beeinflussten. Die nachfolgende, selbst gewählte Rezeption von ServusTV- und ORF-Inhalten (d.h. ein "Best of" von Inhalten, die in der Inhaltsanalyse untersucht wurden) verstärkte teils ihre Einstellung zur (in gesundheitlicher Hinsicht) Gefährlichkeit von COVID-19, zu Regierungsmaßnahmen sowie ihre Verhaltensabsichten in Bezug auf die Maßnahmen.

Alles in allem ist die "Medienwirkung ein komplexes Phänomen"

"Die Befunde unterstreichen die Annahme, dass Medienwirkungs-Phänomene wie etwa der Framing-Effekt komplexe Phänomene sind. Weder ein simplifizierendes Allmachts-Modell basierend auf der Vorstellung, dass alle Rezipierenden gleichermaßen stark in die Richtung der medialen Botschaft beeinflusst werden, noch ein Modell der absoluten Wirkungslosigkeit sind erklärungsmächtig." Diese Studie "legt nahe, dass ein 'Präferenzen-basiertes Verstärker-Modell', das beides, also selektive Zuwendung und (Verstärker-)Effekte berücksichtigt, erklärungsmächtig ist." Theoretisch wird dies auch häufig im Rahmen eines "reinforcing-spiral"-Modells diskutiert, da sich "über einen längeren Zeitraum selektive Zuwendung und Verstärker-Effekte gegenseitig aufschaukeln können". Die Ergebnisse sind konsistent mit der Annahme, dass die Nutzung von ServusTV- oder ORF-Inhalten zur Polarisierung der Gesellschaft in diesem spezifischen Pandemie-Kontext beigetragen haben könnte, wie Studienautor Florian Arendt abschließend erläutert.

Publikationsdetails

Arendt, F., Forrai, M., & Mestas, M. (2022). News framing and preference-based reinforcement: Evidence from a real framing environment during the COVID-19 pandemic. Communication Research. Advance online publication. doi:10.1177/00936502221102104 (Image © Markus Spiske)

Florian Arendt ist Tenure Track-Professor für Gesundheitskommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. (Image © Florian Arendt)

 

Michaela Forrai ist Universitätsassistentin (Praedoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. (Image © AdMe Research Group | Christian von Sikorski)

 

Manina Mestas ist Universitätsassistentin (Praedoc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. (Image © Manina Mestas)